Lokalderby
stehen!«, rief Paul. »Das bringt doch nichts, wenn du vor mir wegläufst.«
Das sah Svetlana offenkundig anders: Als wäre der Beelzebub persönlich hinter ihr her, rannte sie durch das Foyer. Dabei schlug sie Haken wie ein Hase und nutzte diese kurzen Umwege dafür, weitere Stolpersteine für Paul auszulegen.
Paul, der sich vorkam wie ein Parkourläufer, hastete ihr nach, holte aber kaum auf, da er durch splitternde Bilderrahmen, auf die Fliesen geschleuderte CD-Hüllen und eine Skulptur mit scharfkantigen Metallecken ausgebremst wurde.
Binnen kürzester Zeit hatte Svetlana die Wohnungstür erreicht. Von Paul trennten sie noch knapp vier Meter.
Ängstlich, ja geradezu panisch blickte sie sich nach ihm um, während sie sich am Türknauf zu schaffen machte, mit ihren schweißnassen Händen aber immer wieder abrutschte. Das kostete sie wertvolle Sekunden – Sekunden, die Paul ausnutzte, um sie abzufangen.
Siegessicher nahm er die letzten Schritte, glaubte, Svetlana bereits am Schlafittchen packen zu können, da spielte sie ihren letzten Trumpf aus. Sie vollführte eine ballettreife Umdrehung, schnappte sich einen abgestellten Schirm, wirbelte abermals herum, funktionierte die Spitze zum Bajonett um und stach dem herannahenden Paul mit voller Kraft in den Oberschenkel.
»Ahhh! Verflucht!«, schrie Paul auf. »Tut das weh!« Schmerzerfüllt beugte er sich runter, presste beide Hände auf das Bein. Doch nur, um sich gleich darauf aufzurichten und es diesem Biest heimzuzahlen.
Aber das Biest hatte längst das Weite gesucht. Paul hörte nur noch das »Klickklack« ihrer Schuhe.
»So leicht kommst du mir nicht davon«, grollte er, ignorierte den fiesen Schmerz in seinem Schenkel und setzte die Verfolgung fort. Paul schoss durch die Tür, bereit, die wenigen Stufen zum Parterre mit zwei, drei Sätzen hinunterzuspringen. Dann weiter durch den kleinen Vorgarten. Mit etwas Glück würde er Svetlana abpassen, bevor sie in ein Auto steigen oder sich in der Dunkelheit verstecken konnte.
Das glimpfliche Ende dieser Hetzjagd hatte er im Geiste schon erreicht, in der Realität sollten ihn aber Welten davon trennen: Kaum hatte Paul die Wohnung verlassen, rannte er jemandem direkt in die Arme. Einem Mann von stabiler Statur und mit durchtrainiertem Körper. Während Paul zurückprallte, wich der andere keinen Deut von der Stelle.
»Sie?«, fragte Paul, als er ihn erkannte.
»Ja, ich!«, antwortete Dirk Sakowsky patzig.
»Lassen Sie mich vorbei!«, rief Paul aufgebracht. »Ich muss . . .«
»Gar nichts musst du!« Sakowsky verpasste ihm einen rechten Haken, der sich gewaschen hatte und Paul augenblicklich ausknockte.
18
Das traditionelle Abschlussessen, das Paul gemeinsam mit seinen Freunden aus einer lieben Gewohnheit heraus jeweils nach der Lösung eines Kriminalfalls im Goldenen Ritter zu sich nahm, trug diesmal auch seine eigene Handschrift: Er durfte Küchenchef Jan-Patrick nicht nur bei der Zubereitung helfen, sondern hatte Einfluss auf die Zusammenstellung dieses frühherbstlichen Menüs: Forelle mit Wildkräutersalat und Zitronen-Pfeffer-Creme, Schaumsuppe vom Muskatkürbis mit Flusskrebs, Rinderrücken unter einer Kräuterkruste auf gebratenem Kartoffel-Pilz-Rösti an Schnittlauchsoße und schließlich Jan-Patricks sagenhafte gebackene Apfelküchle auf Quittenkompott und hausgemachtem Vanilleeis.
Zwei Tage waren seit dem Eklat im Hause Sakowsky verstrichen. Die unmittelbaren Folgen für Paul blieben erträglich: Der Spieler verzichtete auf eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs, im Gegenzug belangte Paul ihn nicht wegen des Fausthiebs ins Gesicht. Ein Gentleman’s Agreement sozusagen.
Aber die Gedanken an den stürmischen Abend waren heute ohnehin weit weg und Paul ganz in seinem Element: Katinka und Hannah, Pfarrer Hannes Fink, Jasmin Stahl und Victor Blohfeld gehörten zu den handverlesenen Gästen, die in einer abgeschiedenen Ecke des urig-rustikalen Burgberglokals mit ihm schlemmen und ihre Meinung zum Besten geben durften. Während vier von ihnen schon beim Amuse-Gueule ins Schwärmen gerieten, nörgelte Blohfeld in bekannter Manier, noch bevor er den ersten Bissen im Mund hatte: »Ich kann sehr wohl zwischen gutem und schlechtem Essen unterscheiden, finde aber, die Nouvelle Cuisine im Allgemeinen und Ihre Küche im Besonderen wird überschätzt.«
»Weil Sie keine Ahnung haben, Sie Fast-Food-Junkie!«, konterte Jan-Patrick sofort und funkelte den hageren Reporter böse an. »Sie denken wohl auch,
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