Lokale Erschuetterung
Blas mir in die Latschen, reif für eine neue Kragenweite, wo gehobelt wird, geht’s dir dreckig, ein Esel auf dem Parteitag macht noch keinen Sommer.
Hanns flüstert und spuckt jetzt alles aus, was ihm in den Sinn kommt, und steigt dabei in Schuhe und Jackett. Er steckt den Schlüssel in die Tasche und nimmt zwei Tempotaschentücher mit, die Geldbörse und sein Schweizer Taschenmesser. Das Jackett bekommt Beulen und Rundungen. Er wirft einen letzten Blick in den Spiegel und verlässt die Wohnung.
Die Straßenbahn ist fast leer. Drei Kids, die wahrscheinlich die Schule schwänzen, eine alte Dame mit einem dieser praktischen Einkaufstrolleys, ein mürrischer Typ in Lederjacke. Hanns setzt sich ganz vorne auf einen freien Platz und guckt aus dem Fenster. Umso voller wird es dann in der S-Bahn, die ihn rausbringt aus der Stadt, rein in die nächste Metropole, der man schon heftig die Provinz ansieht. Aus Menschen werden Touristen, die sich alle vorgenommen haben, einen Bildungstag in Schlössern und Gärten zu verbringen. Die in der S-Bahn schon mal ihren Reiseführer konsultieren, um einen Plan zu fassen. Früher hat er das mit Veronika auch oft gemacht. Waren immer gute Samstage, wenn sie morgens nach Potsdam sind, um dort einen Tag zu vertrödeln, wie Vroni es nannte. Wahrscheinlich sahen sie genauso aus wie all diese Touris hier mit |60| ihren kleinen Rucksäcken. Die sich mit praktischen Klamotten verkleidet haben, um einen gesunden, gebildeten Tag zu verbringen, an dem sie nur Radler trinken und Scholle essen, eine Führung machen und ihren Reiseführer auswendig lernen. Steht alles im Führer, flüstert Hanns und grinst. Der Führer sagt euch, wo ihr langgehen sollt, schiebt er leise hinterher. Folgen Sie dem Führer.
Hanns steigt am Hauptbahnhof in eine Provinzstraßenbahn. Von der Haltestelle, an der er aussteigen muss, bis zur Redaktion sind es nur noch fünf Minuten. Trotz aller Verzögerungstaktik ist er zu früh. Er bleibt unschlüssig vor dem Redaktionsgebäude stehen und wartet. Nur nicht zu früh, aber auch auf keinen Fall zu spät. Vier Minuten vor seinem Termin betritt er das Gebäude und sagt dem Pförtner oder Wachmann, wohin er will. Siebte, sagt der und zeigt auf den Fahrstuhl. Aus dem Fahrstuhl raus und nach rechts, dritte Tür linker Hand.
Hanns bedankt sich und geht zum Lift. Die Sekretärin des Chefredakteurs sagt ihm, er möge doch bitte noch einen Augenblick warten, die Besprechung sei jeden Moment zu Ende. Hanns setzt sich und wartet. Die Sekretärin dreht sich mit ihrem Stuhl um hundertachtzig Grad und weg von ihm. An der Wand über ihrem Schreibtisch hängt ein Plakat von Rammstein. Donnerwetter, denkt Hanns und schaut sich die Rückseite der Sekretärin genauer an. Aber die gibt keine Auskunft darüber, ob er es hier mit einer Rockerbraut zu tun hat.
Vom Wolkendach fällt Federfleisch auf meine Kindheit mit Gekreisch
, singt Hanns leise in sich rein. Einer seiner Lieblingssongs von Rammstein. Über diesen Kannibalen von Rothenburg.
Heute treff ich einen Herrn, der hat mich zum Fressen gern. Weiche Teile und auch harte stehen auf der Speisekarte.
Könnte hinhauen. Könnte genau hinhauen. Mal sehen, was der Chefredakteur für einer ist.
|61| Die Tür zum Chefzimmer geht auf, und ein bebrillter Mann steckt den Kopf raus. Ist der Grabowski schon da? Die Sekretärin nickt diskret in Hanns’ Richtung, und der Bebrillte zaubert sich ein Lächeln ins Gesicht. Herr Grabowski, sagt er und kommt mit ausgestreckter Hand auf Hanns zu. Der erhebt sich aus dem Stuhl und nimmt die Hand. Kommen Sie, kommen Sie, sagt der Chefredakteur und lotst ihn in sein Zimmer. Das ist kleiner als gedacht, macht aber einen sehr geschäftigen Eindruck. Kaffee, fragt der Chefredakteur, und Hanns schüttelt den Kopf. Bloß schnell zur Sache kommen.
Sie wollen also in den Lokaljournalismus, Herr Grabowski. Das ist gut. Ich habe von der Pike auf gelernt und im Lokalen angefangen. Gute Schule, kann ich nur sagen, und man bekommt unmittelbar zu spüren, ob man erfolgreich war oder eher nicht. Unmittelbares Feedback, das ist nicht zu unterschätzen in diesen Tagen. Na dann, erzählen Sie doch mal ein bisschen was über sich.
Hanns überlegt, was es über sein Bewerbungsschreiben hinaus noch zu erzählen gibt. Ich bin ja in einer Kleinstadt groß geworden, sagt er und merkt, dass seine Stimme etwas belegt klingt. Er räuspert sich die Kehle frei. Als ich volljährig wurde, war mir das dann zwar ein bisschen zu eng,
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