Lokale Erschuetterung
einer Frau geschrieben sein. Außerdem weiß sie doch, dass es ein Mann ist, der das hier schreibt. Ein Kind, ein Mann, ein Kind, ein Mann.
Der Polizist schaut sie an und schweigt. Schweigt, während sie stotternd zu erklären versucht, warum sie sich keine Frau vorstellen kann, die Briefe schreibt, deren letztes Wort ich heißt.
Was werden Sie tun?
Der Polizist schüttelt den Kopf. Warten, sagt er. Wir warten. Wenn der nächste Brief kommt, bringen Sie ihn her. Und kommen Sie auch, wenn Sie sich beobachtet fühlen.
Da bin ich, denkt Veronika. Gekommen, weil ich mich |54| beobachtet fühle. Schon mein halbes Leben lang. Wenn ich nur daran denke, wie Hanns auf das Heizkissen starrt, das auf meinem Bauch liegt. Sie steht auf und gibt dem Polizisten die Hand. Obwohl keine Hoffnung da ist, fühlt sie sich erleichtert. Vielleicht war es das jetzt auch. Vielleicht hat der Mann sie dabei beobachtet, wie sie mit seinen Briefen zur Polizei gegangen ist. Und lässt es nun sein, sich ihr auf diese Art zu nähern. Vielleicht steht er wirklich einfach vor der Tür und sagt: guten Tag, Veronika, können wir miteinander reden.
Der Polizist hält ihre Hand ein paar Sekunden lang. So lange, dass es fast wie eine kleine Liebeserklärung wirkt. Veronika blickt ihm in die Augen, er lächelt. Wie heißen Sie, fragt sie und sieht im gleichen Moment das Namensschild auf dem Schreibtisch. Martin Wagemut. Welch ein Name. Der Polizist lächelt und sagt: Wissen Sie was, meine erste Freundin hieß Doris Tollkühn. Das wäre etwas geworden mit uns beiden. Wagemut-Tollkühn.
Und warum wurde nichts daraus, fragt Veronika und lässt ihre Hand weiter in der Hand des Polizisten.
Feigheit, sagt der Polizist und lacht. Ich war zu feige, die tollkühne Braut zu fragen. Und dann hat sie sich einen Sportlehrer geangelt.
Veronika lächelt auch und nimmt ihre Hand wieder in Besitz.
Ich gebe Ihnen meine Karte, sagt der Polizist. Rufen Sie mich an, wenn Sie sich bedroht fühlen. Und dann sieht er für einen Moment aus, als wolle er noch hinterherschieben: Rufen Sie mich auch an, wenn Sie sich nicht bedroht fühlen. Einfach so. Dann gehen wir spazieren.
Veronika bleibt stehen und wartet gespannt, ob er es tut. Die Sekunden verstreichen, und sie wendet sich ab und winkt mit der linken Hand zurück. Mach ich, sagt sie. Und danke schön auch.
|55| Zu Hause setzt sie sich an den Computer und schreibt das Angebot. Sie hat schon Hunderte solcher Angebote geschrieben, und aus den wenigsten ist etwas geworden. Das hier aber wird. Das weiß sie ja. Schließlich ist ein Teil des Geldes schon für Tapeten ausgegeben.
Ein Handy klingelt kurz dingdong. Hanns hat seins liegenlassen, das hört sie am Ton. Und dass es eine SMS ist, die da gekommen ist. Sie geht ins Wohnzimmer, da liegt das Ding auf dem Tisch. Die SMS ist von einem Daniel. Veronika meint sich vage zu erinnern, dass es Daniel gibt. Irgendein Typ, der Hanns im Supermarkt gegenüber vor Schlimmerem bewahrt hat. Und mit dem er sich manchmal trifft. Ein junger Kerl, hatte Hanns einmal gesagt, als sie ihn auf diesen Daniel ansprach. Noch keine dreißig. Sie hatte sich gewundert, dass er mit so einem etwas anfangen kann, es aber nicht gesagt. Hanns hat wenige Freunde. Sie wird einen Teufel tun und rummäkeln, nur weil es so ein Jungspund ist, mit dem er sich nun trifft. Besser als niemand oder keiner, denkt sie und geht wieder an ihren Schreibtisch. Ein anderes Telefon klingelt. Ihr gemeinsamer Festnetzanschluss. Veronika nimmt den Hörer ab und sagt ihren Namen. Ah, sagt jemand am anderen Ende und legt auf. Sie setzt sich wieder an den Schreibtisch und schreibt das Angebot zu Ende. Überlegt, wer sich einfach nur mit Ah melden könnte, um dann aufzulegen. Es macht sie nervös. Ein wenig. Sie fühlt, dass dieses Ah wie das Ich unter dem Brief auf sie wirkt. Was geht hier eigentlich ab, denkt Veronika und starrt aus dem Fenster. Gegenüber laufen Männer über das Dach des Zwölfgeschossers. Sie sehen aus, als hätten sie keinen Plan. Da haben wir etwas gemeinsam, murmelt Veronika und geht in die Küche. Sie nimmt das Ah-Telefon mit und drückt ein paar Tasten. Vielleicht kann sie sehen, unter welcher Nummer der Anrufer zu erreichen ist. Sie riefe sofort zurück. Das weiß sie. |56| Scheißegal, was daraus wird. Sie will wissen, wer hier Ah sagt und Ich schreibt. Eine Ahnung nützt ihr gar nichts. Aber die Nummer ist nirgendwo gespeichert.
Veronika druckt das Angebot aus, unterschreibt es und steckt es in
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