Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
Vom Netzwerk:
Kühler und eine Kerze auf den Tisch. Wundert sich über all das, was er hier tut. Geht zu Veronika, die noch immer vor ihren Ahs und Ichs sitzt, und hebt sie hoch vom Stuhl. Sie summt ein Lied. Selbstvergessen, halbverrückt. Man kann es nehmen, wie man möchte.
    Kindlein mein, schlaf nur ein, weil die Sternlein kommen, und der Mond kommt auch schon wieder angeschwommen, eia Wiege Wiege mein, schlaf nur, Kindlein schlafe ein.
    Essen, flüstert er ihr ins Ohr. Komm, Liebste, wir essen.
    Dann sitzen sie am Tisch, und Hanns redet. Erzählt bis in alle Einzelheiten, wie es ihm heute ergangen ist. Veronika hört zu. Er sieht es. Dass sie nicht ganz abgeschaltet hat. Wann gehst du, fragt sie irgendwann. Wann gehst du nach Frankenburg?
    Schon in drei Wochen, wenn alles gutgeht. Was ist das für ein Satz? Wenn alles gutgeht. Als ob man davon reden kann.
    Veronika lächelt trotzdem. Wir werden das schaffen, sagt sie, und plötzlich scheint ein bisschen Leben reinzukommen. Ihre Schultern biegen sich leicht nach hinten, sie hebt das Kinn, schaut ihn an. Wir werden das schaffen. Ich komm dich besuchen und du mich. Vielleicht wirst |70| du ein Untermieter, und ich schleiche mich dann Freitagabend zu dir aufs Zimmer.
    Hanns lächelt. Und stellt sich vor, wie er Vroni unter der Bettdecke versteckt. Als seien sie zwei Jugendliche, die sich heimlich treffen, um es miteinander gutzuhaben.
    Ich dachte eher an eine kleine Wohnung, mit nur zehn Dingen drin. Zehn Gegenstände, mehr nicht. Meinst du, das geht?
    Veronika nickt, als wäre ihr der Gedanke vertraut. Natürlich geht das. Wir können in allem noch mal von vorn anfangen. Man muss sich nur trennen können. Sie stockt bei diesem Satz, als sei ihr erst beim Aussprechen klargeworden, wie vieldeutig er ist. Von den Dingen und Angelegenheiten, schiebt sie hinterher. Nicht voneinander.
    Hanns gestattet sich ein kleines, winzig kleines Glücksgefühl. Es klingt, als wollte Veronika, Vroni, wirklich. Noch einmal anfangen. Wobei nicht klar war und ist, ob sie am Ende sind. Hanns denkt, zum wievielten Mal eigentlich, an ihren ersten gemeinsamen Urlaub. Kannst du dich noch an dieses Zimmer in Bulgarien erinnern, in diesem Kaff, wie hieß es gleich?
    Acheloj. So klein. Wir mussten uns gegenseitig den Mund zuhalten, wenn wir.
    Hanns könnte Veronika jetzt gestehen, dass er oft an diesen Urlaub denkt. Daran, wie sie mit dem wenigen Geld, das sie hatten, vierzehn Tage bei brütender Hitze in einem winzigen Zimmer gelebt haben. Tagsüber am Strand waren, abends am Strand waren, nachts am Strand waren, um nicht zu ersticken in dieser hübschen Bruchbude. Aber sie wollten sich ein Haus kaufen, da in dem kleinen Ort, ganz in der Nähe von Burgas. Wir werden beide Korrespondenten in Bulgarien, wer will hier schon her, hatte Veronika gesagt. Und ihm war das wie die beste aller Möglichkeiten erschienen.
    |71| Wir ziehen unsere Kinder mit Schopska-Salat groß und bringen ihnen noch vor dem Laufen das Schwimmen bei.
    Veronika war überhaupt nicht mehr zu halten gewesen. Wenn du mir hier ein Haus baust, werde ich dich ewig lieben und du mich, Hanns. Sei mein Mann und bau mir ein Haus. Wir werden es auch nicht verputzen, wie alle hier. Es wird auf ewig unfertig bleiben, aber unser Haus.
    Er hat noch jeden Satz im Kopf, den seine Liebste, wie er Veronika damals nannte – fast nie beim Vornamen, immer nur Liebste –, gesagt hatte. Jeden verdammten Satz. Wieso können Menschen nicht einfach bleiben, wie sie mal waren? Wieso werden sie ängstlich und verrückt, entlieben und entfernen sich? Warum hat ausgerechnet er eine Frau, die mal Liebste war und jetzt ein ewig blutendes Weib ist, das ihm den kalten Hintern zeigt?
    Ein Telefon klingelt, und Veronika zuckt zusammen.
    Meins, sagt Hanns und legt die rechte Hand auf ihren Arm. Er steht auf und kramt in der Jacketttasche, bis er das Telefon gefunden hat. Klappt es auf und hört Daniels Stimme. Wo bist du, fragt der, und zum ersten Mal geht Hanns auf, dass sie ihre Telefongespräche wirklich immer mit dem gleichen Satz beginnen. Wo bist du? Diese blöden Mobiltelefone haben aus ihnen Schwachmaten gemacht, denen nichts anderes mehr zur Begrüßung einfällt, als Wobistdu zu fragen. Sergeant Mulder hier, Scully, wo sind Sie?
    Zu Hause, Veronika geht es nicht gut. Ich kann heute doch nicht, tut mir leid. Daniel schweigt und lässt die Sätze so stehen, wie sie gesagt wurden.
    Dann morgen. Vielleicht. Hast du den Job?
    Ich denke. Na, eigentlich bin ich sicher.

Weitere Kostenlose Bücher