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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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Ja, wir können uns morgen treffen. Wenn du Lust hast. Wir könnten nach Frankenburg fahren. Das ist die Metropole, in der ich bald meine Spuren hinterlassen werde. Hanns lacht und |72| schaut ins Wohnzimmer. Veronika sitzt noch genauso da wie vor ein paar Minuten. Hat sich nicht bewegt.
    Ich ruf dich morgen früh an, so um neun, okay?
    Daniel schweigt einen Moment und sagt: Um zehn, ich gehe dann heute in eine Spätvorstellung. Grüß Veronika, sagt er und legt auf.
    Hanns setzt sich wieder an den Tisch und richtet Veronika Grüße von Daniel aus.
    Wer ist das eigentlich, fragt sie. Dieser Daniel, wo kommt der her und was macht er?
    Das sind drei Fragen auf einmal. Hanns wappnet sich ein bisschen. Daniel ist achtundzwanzig, glaube ich. Ein kluger Bursche, mit dem man reden kann. Vielleicht ein bisschen komisch, dass er sich an so einen alten Sack wie mich hängt. Aber er wird seine Gründe haben, denke ich. Scheint auch keine Familie zu haben und kaum andere Freunde. Wundert mich. Er ist so ein Typ, der eigentlich viele Freunde haben sollte. So ein Angenehmer halt, der zuhört und fast immer die richtigen Fragen stellt. Sieht gut aus, erinnert mich an jemanden, und ich weiß ums Verrecken nicht, an wen. Aber jedes Mal, wenn ich ihn sehe, denke ich das. Ehrlich gesagt, was er genau macht, weiß ich gar nicht. Wir reden nie über Arbeit. Ich glaube, er arbeitet in irgendeinem Projekt. Quartiersmanagement oder so was in der Art. Als ich ihn kennenlernte, hat er ja als Verkäufer gejobbt. Da drüben im Supermarkt. Und studiert, glaube ich. Werde ihn fragen, wenn wir uns das nächste Mal sehen.
    Veronika sitzt still und stellt keine Fragen. Daniel interessiert sie nicht so sehr. Wichtig war nur, von all dem anderen Kram wegzukommen. Aber so funktioniert es wohl auch nicht.
    Ich werde mich operieren lassen, Hanns. Hysterektomie. Am besten in dieser Klinik für minimalinvasive |73| Chirurgie oder wie das heißt. Da ist man nach drei Tagen wieder raus aus dem Krankenhaus. Die bohren nur drei kleine Löcher in den Bauch, zerschreddern die Gebärmutter und holen sie dann Stück für Stück raus.
    Hanns schluckt und spürt, wie es im Darm wieder rumort. Allein die Vorstellung und dass Veronika das hier so erzählt, bei Pastapesto. Als sei es das Normalste, sich die Gebärmutter zerschreddern zu lassen, wie sie es nennt.
    Vroni, das ist doch zu früh für eine solche Entscheidung. Du bist vierundvierzig. Das.
    Veronika steht auf und läuft eine Runde um den Tisch, geht zum Fenster, öffnet und schließt es und kehrt wieder zurück, setzt sich hin, nimmt die Gabel in die Hand und fängt an, wie wild auf die kalten Spaghetti einzustechen. Ich bin fertig damit, sagt sie. Ich hab es satt. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich jetzt noch schwanger werden könnte. Wie viele Jahre versuchen wir nun schon, ein Kind zu bekommen? Sie schaut Hanns an und wartet tatsächlich auf eine Antwort. Wie viele Jahre?
    Zwanzig, murmelt Hanns und zupft an der Stoffserviette rum. Zwanzig Jahre. Achtundachtzig ist.
    Achtundachtzig haben wir ein Kind getötet, sagt Veronika und starrt Hanns an, als könne der so einen Satz ungeschehen machen.
    Du bist verrückt, Veronika, wir haben dieses Kind nicht umgebracht. Es ist gestorben, vor der Geburt gestorben. Niemand weiß, warum. Niemand ist schuld. Wir hatten.
    Pech? Fragt sie. Wolltest du sagen, wir hatten Pech? Es hieß übrigens Daniel. Unser Kind. Erinnerst du dich?
    Jetzt, jetzt, wo sie es sagt, erinnert er sich. Dass sie schon vorher einen Namen hatten. Einen für ein Mädchen, Daniela, und einen für einen Jungen. Daniel.
    Erinnert dich dieser Daniel vielleicht an unseren Sohn, fragt Veronika und hackt weiter mit der Gabel auf die kalten |74| Spaghetti ein. Ist es das? Erinnert er dich an unser Kind? An mein Kind, denkt sie. Erinnert dieser Daniel mich an mein Kind?
    Er schüttelt den Kopf und schaut sie an. Zum ersten Mal zieht er die Möglichkeit in Betracht, seine Frau könnte verrückt sein. Das ist ein Zufall, Veronika. Ich habe Daniel nicht gesucht, er hat mich gefunden. Damals in diesem Supermarkt. Du kennst doch die Geschichte. Er hat mich von Mord und Totschlag abgehalten, und seitdem kennen wir uns. Daran ist gar nichts Ungewöhnliches. Und dann. Du hattest doch damals diese beiden Namen ausgesucht. Ich wollte ganz andere. Namen. Ich wollte. Das hat er vergessen. Jetzt, wo er die Namen sagen will, die ihm damals für das Kind gut erschienen, merkt er, dass er sie vergessen

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