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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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hat.
    Thomas, flüstert Veronika. Thomas und Josefine. Und ich konnte mir keinen anderen Namen als Daniel vorstellen. Der stand auch auf dem Totenschein. Erinnerst du dich? Wenn er noch gelebt hätte, ein paar Minuten nur. Wenn das so gekommen wäre, hätte der Name auf einer Geburtsurkunde gestanden. Und dann erst auf einem Totenschein. Fast genauso, wie es schon einmal war, denkt sie. Bis auf den Tod. Und es gibt niemanden, mit dem ich reden kann.
    Hanns nickt. Was soll er sagen. Genauso war es ja. Veronika und er sind mit einem Totenschein aus dem Krankenhaus gekommen. Und haben dann weitergemacht. Jeden Monat versucht, ein Kind zu zeugen. Mehr als zweihundert Monate lang. Mindestes zweitausend Mal. Wenn man davon ausgeht, dass sie in besseren Zeiten mindestens zehn Mal im Monat miteinander geschlafen haben. Mindestens. Wenn Veronika ihre fruchtbaren Tage hatte, jeden Tag. Und an manchen sogar zwei Mal.
    Ich sollte ihr eine Perlenkette mit zweihundert Perlen schenken, denkt Hanns. Für jede Monatsblutung eine. |75| Zum Abschied. Damit wir es dann auch endgültig akzeptieren. Er steht auf und geht ins Bad. Setzt sich aufs Klo, und ihm fällt ein, dass er das Lopedium akut vergessen hat. Wird er sich wohl eine ganze Muskatnuss reiben und runterwürgen. Der Durchfall ist wieder da und genauso schlimm wie vorhin auf dem Redaktionsklo. Ihm ist unklar, wie sein Magen die Spaghetti so schnell verflüssigen konnte.
    Das kann ja wohl nicht sein, murmelt er, und hinter seinen Augen macht sich tiefviolette Trauer breit. Flutet sein Hirn wie ein Schlaganfall. Unten fließt es aus ihm raus, als sei dieses Mal die Reihe an ihm, ein Kind auszuspülen, und in seinem Kopf dehnt sich die Trauer aus. Er hört Veronika den Tisch abräumen, das Geschirr in die Spülmaschine stellen. Er sitzt auf dem Toilettenbecken und kann sich nicht fortbewegen. Denkt an die abstruse Geschichte von der Frau, die drei Jahre lang ihr Badezimmer nicht verlassen hat. Die auf dem Klo sitzen geblieben ist und deren Hintern mit der Klobrille verwuchs. Die sie mitsamt Brille am Hintern in den Krankenwagen tragen mussten, nachdem der Ehemann dann doch irgendwann die Feuerwehr gerufen hatte. Die Schlagzeile. Wie war die Schlagzeile? Frau auf Klo festgewachsen. Vielleicht. Klingt aber zu harmlos. Hanns formuliert Schlagzeilen. Klofrau nach drei Jahren gerettet, Die Sieben-Stunden-OP, Das ist die wahnsinnige Klositzerin. Nichts davon gefällt ihm wirklich. Nichts klingt so gut wie Drei Jahre Martyrium – hat ihr eigener Mann sie auf dem Klo festgeklebt?. Und die war schon vergeben. Jemand anderem eingefallen.
    Als Hanns das Bad verlässt, ist die Wohnung dunkel. Veronika liegt im Bett. Und schläft nicht.

|76| 7. Kapitel
    Am nächsten Morgen kann sie sich kaum noch erinnern. Das passiert ihr oft. Sie hat sich daran gewöhnt. Wenn das Fass überläuft, vergisst sie schnell, was gewesen ist. Was bleibt, ist eine Art verrücktes Gefühl. Damit kommt sie klar. Hanns liegt neben ihr und sieht zerzaust aus. Wie ein junger Mann, denkt sie und streicht ihm über den Kopf. Davon wird er wach. Veronika, sagt er, wenn du willst, bleibe ich hier. Er sagt es hoffnungsvoll.
    Sie schüttelt den Kopf. Das will sie nicht. Hanns soll gehen. In seine Provinzstadt. Er soll wieder Schlagzeilenkönig werden. Und aufhören, sich zu benehmen, als stünde er kurz vor der Explosion. Wahrscheinlich denkt er, dass sie es nicht merkt. Diese tiefe und immer größer werdende Wut, die in ihm steckt. Ihr ist, als seien sie nur noch Millimeter oder Sekunden von dem Augenblick entfernt, da Hanns diese Wut rauslässt. Richtig rauslässt. Und sie will dann nicht in seiner Nähe sein. So weit ist es gekommen. Sie will nicht dabei sein, wenn er explodiert. Will, dass es einen anderen oder eine andere trifft. Nicht sie. Sie glaubt nicht mehr daran, dass Hanns noch einmal so werden kann, wie er war. Beststudent, Partymensch, Reportagekönig bei der größten sozialistischen Tageszeitung, die es gab in diesem kleinen piefigen Land.
    Veronika steht auf und geht ins Bad. Sie klappt den Toilettendeckel hoch und sieht die Schweinerei. Es ist ihr rätselhaft, dass Männer nie hinter sich blicken, wenn sie auf dem Klo gesessen haben. Ihr wird schlecht. Sie beugt |77| sich über die Schüssel und gibt, was noch abzugeben ist. Dann spült sie, schüttet grünes Reinigungszeug ins Klo, das sich im Wasser tiefblau färbt. Dunkelblaue fette Wut. So hat Hanns es beschrieben. Sie nimmt die Bürste und schrubbt

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