Lokale Erschuetterung
Vorgestern hat er früher Schluss gemacht und ist achtzig Kilometer zum nächsten Ikea gefahren, um dieses Schlafsofa zu kaufen und dazu drei buntgestreifte Kissen, die dem Teil ein wenig die Langeweile austreiben.
Das wird schon alles gut und schön, murmelt er. Frank und frei, holterdipolter, hoch und runter, heute so, morgen anders. Hanns legt sich probehalber auf das Sofa, dreht und wendet sich. Rocken, bis die Erde wackelt, flüstert er. Diese Schlagzeile steht morgen in der Rundschau. Er hat sie gemacht. Sie ist so, wie hier Schlagzeilen gewünscht sind. Rocken, bis die Erde wackelt. Hanns wälzt sich auf der Couch hin und her, ohne dass es ihm damit bessergeht.
Rückgang beim Gewerbe, konstituierende Ratssitzung, Infoabend zur Säuglingspflege, Modenschau für Senioren, |163| Erster Platz für Hengstfohlen, Landsenioren treffen sich, Holzmarktfest mit Überraschungen.
Hanns dreht und wendet sich und flüstert die Schlagzeilen eines Tages. Was soll er Veronika erzählen? Worüber werden sie beide reden? In diesem Moment hat er keine Vorstellung davon, was zwei Leute zu besprechen haben, die so seltsame Dinge tun wie er und Veronika. Schlagzeilen und Werbesprüche. Wo soll das hinführen?
Hanns steht auf und geht in die Küche. Schaut, was er morgen noch alles einkaufen muss, wenn er kochen will. Will er kochen? Vielleicht doch besser in den Ratskeller gehen. Aber dort sitzen lauter Menschen, die er nach acht Wochen Frankenburg bereits grüßen muss. Und möchte er das? Will er sagen: Hallo und darf ich vorstellen, meine Frau, und wie geht es heute, und sehen wir uns nächste Woche beim Stadtfest?
Hanns schreibt auf einen Zettel, was er einkaufen wird. Steaks, Kartoffeln, grüne Bohnen, zwei Tomaten, Knoblauch, nein, keinen Knoblauch, Wein rot und weiß, Bier, Wasser, oder besser eine Flasche Sekt. Der Champagner von Aldi ist in Ordnung, den kann er nehmen. Veronika liebt Champagner. Hanns streicht das Bier, sieht an sich herunter und herauf. Ein kleiner Bauch, er könnte schwören, dass er sich schon so einen bis jetzt kaum sichtbaren Kleinstadtbauch angetrunken hat. Heute hatte eine Frau beim Lesertelefon angerufen und gefordert, die Zeitung möge sich starkmachen dafür, dass Hartz-IV-Empfänger kostenlos ins Fitnessstudio dürfen. Hanns grinst, als er an diesen Anruf denkt, den er durch Zufall angenommen hatte, weil er grad am Telefon stand und der Praktikant auf dem Klo war oder rauchen. Warum sollten die das tun, hatte er die Frau gefragt.
Weil wir alle fett werden. Vom Bier und vom schlechten Essen. Und wenn wir fett sind, will uns niemand mehr |164| haben. Würden Sie eine fette Frau einstellen, bei sich im Sekretariat? Hanns hatte auf Irene Paulsen geguckt und an Katja Schwenker gedacht, die Marktfrau, über die er inzwischen tatsächlich ein Porträt geschrieben hat. War eine der ersten Amtshandlungen, ein Porträt über Katja Schwenker mit den großen Titten zu schreiben.
Sein Schweigen ist ihm wohl als Ablehnung ausgelegt worden. Na sehen Sie, hatte die Frau am Telefon jedenfalls gesagt, mit einem kleinen Triumph in der Stimme, den er sich nicht erklären konnte. Er hatte versprochen, jemanden zum Fitnesscenter zu schicken und fragen zu lassen, ob die sich das vorstellen könnten. So eine Aktion vielleicht, hatte er vage gesagt, und die Frau fand das toll. Wenigstens mal vier Wochen, hatte sie gesagt, da kriegt man doch schon ’ne Menge weg von dem Fett. Was die sich vorstellte. Hanns hatte keine Ahnung, wie schnell man Fett wegtrainieren kann, aber vier Wochen schienen ihm dafür entschieden zu wenig. Andererseits hatte es ihm gefallen, dass die Frau am Telefon ein Sprichwort derartig wörtlich nahm. Sein Fett wegkriegen. Schön, wenn man es so sieht, hatte er gedacht und dem Praktikanten den Auftrag gegeben, sich mal im Fitnesscenter umzuhören. Ob die gemeinsam mit der Rundschau eine Aktion starten würden. Fit für den ersten Arbeitsmarkt oder so etwas in der Art. Warum nicht?
Aber werden nicht alle anderen Leute, die da hingehen, denken, dass die anderen denken, dass sie auf Hartz IV sind, hatte der Praktikant gefragt. Auf den blöden Gedanken war Hanns gar nicht gekommen, dass es den anderen peinlich sein könnte, so verwechselt zu werden mit einem fetten Loser oder einer dicken Unglückskrähe. Zerbrich dir mal nicht deren Kopf, hatte er dem Jüngelchen gesagt und den Auftrag aufrechterhalten. Versuch macht klug, hatte er noch hinterhergeschickt und war sich dabei dumm und blöd
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