Lokale Erschuetterung
vorgekommen.
|165| Hanns setzt die Kopfhörer auf und geht noch mal mit Rammstein auf Tour.
Nun liebe Kinder, gebt fein acht, ich hab euch etwas mitgebracht.
Morgen kommt Veronika, da könnte alles ein bisschen besser werden. Er hat Sehnsucht nach ihr, und die elektronische Post ist eine Schimäre. Sie will ihm etwas erzählen, seine Frau. Mehr hat sie kaum geschrieben. Nur Alltagskram und Banalitäten. Alles andere erzähl ich dir, wenn wir uns sehen, so stand es bislang unter fast jeder Mail. Und manchmal stand da noch, ich liebe dich. Immerhin.
Morgenstern, ach scheine auf die Liebste meine, wirf ein warmes Licht auf ihr Ungesicht.
Hanns liegt auf der sandfarbenen Schlafcouch und weiht sie ein, indem er sich einen runterholt. Ist klug genug, in eines der buntgestreiften Kissen zu spritzen, anstatt auf den Bezugsstoff. Dann steht er auf und stopft das Kissen in die Waschmaschine. Ikea hat versprochen, dass es so geht. Ikea hält seine Versprechen. Ihre Versprechen? Hanns überlegt allen Ernstes, ob die Buchstabenfolge das weibliche oder männliche Possessivpronomen verlangt. Dann hört er auf mit dem Blödsinn, zieht sich die Jacke über, verlässt die Wohnung. Morgen kommt Veronika, und er dreht jetzt noch eine Runde, um müde zu werden.
Es ist halb zehn. Die Stadt liegt schon im Koma. Hanns ist jedes Mal verblüfft, wenn er das feststellt. Dass eine Stadt ins Koma fallen kann. Er hat sich einmal auf den Marktplatz gestellt, von dem aus die zwei Einkaufsstraßen abgehen und der tatsächlich das Zentrum von allem ist, auch vom Elend. Er hat beobachtet, wie lange es dauert, aus dem halbwegs belebten Flecken mit schönem Kopfsteinpflaster und nett sanierten Häusern ringsum |166| einen toten Ort zu machen. An einem Samstag hat er das getan. Samstags ist auf Frankenburgs Marktplatz richtig Bambule. Bis fünfzehn Uhr tobt das Leben und mittendrin die dicktittige Katja Schwenker, der er nun schon drei Mal etwas abgekauft hat. Um drei fangen die Leute dann an einzupacken, und die Läden machen Kasse. Manche schließen früher, aber drei ist eine magische Grenze. Eine Stunde später sieht Frankenburgs Zentrum dann so aus, wie Hanns es sich schon vorgestellt hatte, da war an diesen Job noch gar nicht zu denken. Alle kleinen Städte machen samstags um vier die Schotten dicht. Danach prügelt sich das Leben hinter verschlossenen Türen.
An diesem Tag, als er den Test gemacht hatte, ist er um vier Uhr am Nachmittag in eine abgrundtiefe Verzweiflung gefallen. Ist in das italienische Eiscafé am Marktplatz gegangen mit dem festen Vorsatz, sich zu betrinken. Wenn es sein muss, mit Prosecco, hatte er gedacht. Am Fenster in einer Nische saß Katja Schwenker. Vor ihr stand ein Eisbecher, der schien Hanns so groß zu sein wie ein Atomkraftwerk. Über Bergen von Eis türmte sich ein Berg von Sahne, bestreut mit Schokoladenstückchen, und ganz oben drauf lag eine Cocktailkirsche. Er hatte sich zu Katja Schwenker gesetzt, und sie schien nichts dagegenzuhaben. Seitdem träumt er manchmal von der Frau, stellt sich vor, wie es wäre, sie zu vögeln, sich in ihrem weichen Fleisch zu verlieren, die ganze blaue Wut und violette Trauer zwischen ihren großen Brüsten zu vergessen. Er hat noch immer den Eindruck, dass die Frau weiß, was er denkt und phantasiert. Wenn er sie sieht, und er sieht sie oft, hat sie so etwas vage Einladendes. Als wartete sie darauf, dass er fragt, ob man sich mal verabreden könnte, auf ein Glas Wein, ein Essen, einen Fick.
Hanns läuft durch die leeren Straßen Frankenburgs und denkt darüber nach, ob er mit einer Frau vögeln könnte, die |167| so große Titten hat wie Katja Schwenker. Es ist fast eine Obsession geworden, daran zu denken. Morgen Abend wird er seine Frau neben sich haben, und deren Brüste waren seit jeher klein und rund und fest. Keine Chance, dass die mal groß und weich werden, eher verschrumpeln sie irgendwann, wenn Vroni eine alte Frau sein wird. Und was passiert mit Katja Schwenkers Titten, denkt er und überquert schon zum dritten Mal den Platz. In der Mitte bleibt er stehen und stellt sich vor, wie er in zwanzig Jahren immer noch hier in Frankenburg hängt. Immer noch Lokalredakteur ist. Mit allen Wassern gewaschen und jede Schlagzeile schon tausend Mal geschrieben. Wie er dann rituell am Samstagabend nach dem Markttag zur dicken Katja Schwenker schleicht, die noch dicker geworden ist und wie ein verlässlicher Berg über seiner Verzweiflung thront. Wie er seinen dann kleiner
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