Lokale Erschuetterung
dann andere ein ganzes Heft füllen konnten.
Textbaustein, flüstert Veronika und fletscht die Zähne. Sie verdient fast nur noch damit ihr Geld. Dass sie Textbausteine verfasst, die beliebig einsetzbar sind. Für dieses und jenes zu gebrauchen. Kürzlich hatte sie eine Anfrage nach Präventiv-Textbausteinen für Krisen-PR bekommen. Sie wird sich überlegen, ob sie ein Angebot schreibt. Krise ist Krise, da kann man sich sehr wohl vorab |200| Gedanken machen, wie man sie verkauft, wenn sie dann da ist. Gestern hatte der Zug an einem Bahnhof gehalten, auf dessen verfallenem Dienstgebäude noch die Inschrift Alle Kraft dem Fünfjahrplan zu lesen war. Ein ewiger Textbaustein. Heute nicht mehr verwendbar, aber für viele Jahre gut genug.
Veronika streicht mit dem Zeigefinger über die Falte und hofft, die werde sich so verflüchtigen. Für einen weiteren Tag fast verschwinden, kaum sichtbar sein. Sie muss mit Hanns so viel besprechen und will nicht schon zu Beginn aussehen wie das Leiden Christi.
Auf einem Wasserbett träumt Ihr Liebling noch süßer und schläft gut.
Veronika denkt an das Fotoshooting. Einmal, hatte sie sich bei dem Futtertrogmann ausbedungen, möchte sie bei einem solchen Shooting dabei sein, um ein Gefühl zu bekommen. Gequirlte Scheiße, würde Hanns das nennen. Für solch einen Mist brauchst du doch kein Gefühl zu entwickeln, Vroni.
Sie war einfach neugierig, wie es abläuft, wenn man Hunde auf eigens für sie gebauten Wasserbetten fotografiert. Immerhin kosten die Dinger mehr als dreihundert Euro, dafür bezahlt man gern einen Fotografen, der es einem richtig schmackhaft macht, das Wasserbett für den kleinen oder großen Liebling mit der kranken Hüfte und der Arthritis. Die Fotomodels allerdings waren gesunde, gut aussehende Hunde, gestriegelt und gebügelt. Die sahen nicht aus, als bräuchten sie eine Heizung mit bissgeschütztem Stromkabel fürs Wasserbett, weil ihnen der Hintern nicht mehr von allein warm wird und das Fell ausgeht.
Veronika setzt sich zum zweiten Mal aufs Klo, auch wenn sie nicht pinkeln muss. Im Sitzen sieht sie die Stirnfalte nicht und kann nachdenken. Es ist kurz vor halb sechs. Sie weiß nicht mal, wann Hanns aufstehen muss.
|201| Ich könnte ein Frühstück machen, denkt sie und verwirft den Gedanken sofort. Die Wohnung ist zu klein, sie würde Hanns nur wecken. Außerdem weiß sie nicht einmal, wo der Kaffee steht. Ich könnte einfach hier sitzen bleiben und warten, bis er kommt. Der holt mich dann vom Klo, setzt mich in die Küche, kocht einen Kaffee und geht Brötchen holen. Brötchen holen, das wäre doch.
Veronika steht auf, kramt leise ihre Sachen zusammen, zieht sich an, sucht den Wohnungsschlüssel und ihr Portemonnaie und geht los. Unten vor der Haustür fällt ihr ein, dass es nun gerade mal um sechs sein kann. Oder ein bisschen früher. Wo soll sie jetzt frische Brötchen herbekommen? Dumm wie eine weiße Wand, murmelt sie und läuft los. Dann wird sie halt die Zeit rumkriegen müssen, bis der erste Bäcker oder Supermarkt aufmacht.
Den Weg zur Redaktion findet sie schnell. Stellt sich vor das Schaufenster. Eine Lamellenjalousie verwehrt den Blick ins Innere, aber im Schaufenster hängt die Zeitung von heute. Mit der kann Veronika Zeit verbringen, ohne allzu blöd auszusehen, hier auf der menschenleeren Straße. Die Zeitung von heute vermengt sich im Kopf mit der Zeitung von gestern, die sie im Zug gelesen hat, um sich ein Bild von ihrem Mann zu machen, wie er jetzt ist. So ein Blödsinn, denkt Veronika und scharrt ein bisschen mit den Füßen. Als könnte ich mir ein Bild von meinem Mann machen, wenn ich seine Zeitungstexte lese. Das ging früher auch nicht. Da musste er mir erklären, was zwischen den Zeilen stand, die er geschrieben hatte.
Im Hauseingang neben der Redaktion raschelt es. Veronika sieht zu, wie ein Mann aufwacht, der dort wohl geschlafen hat. Wie er sich reckt und räkelt unter einer dünnen, schmuddligen Decke, langsam hochkommt und zu ihr rüberschaut. Guten Morgen, sagt der Typ, so zeitig unterwegs?
|202| Schlecht geschlafen.
Sie sollten es mal hier versuchen. Ist ein guter Platz.
Der Mann steht auf und faltet seine Decke ordentlich zusammen. Sammelt die Zeitungen auf, die er sich auf den Boden gelegt hatte, um darauf zu liegen, und faltet sie ebenfalls. Packt alles in eine große Plastiktüte.
Müssen Sie so früh hoch, fragt Veronika.
Besser so. Wenn hier erst mal der Betrieb losgeht, sollte ich weg sein. Den Leuten
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