Lokale Erschuetterung
Überhaupt, was in dieser Zeit rumgemacht wurde mit Kollegen, Freunden, Wildfremden. Als hülfe der Sex gegen die Angst. Sie hatte sich da rausgehalten, ihr genügte die Angst, die sich manchmal mit Hoffnung mischte. Die Panik, die ihr die Worte diktierte, die am nächsten Tag in der Zeitung standen.
Und Hanns war gewandert. Sobald er den Redaktionsdienst hinter sich hatte, war er losgelaufen. Hatte jeden Tag gezählt, wie oft er die einstige Grenze überquerte. Führte zu Hause eine Strichliste, die sich füllte mit schwarzen, grünen, roten und blauen Balken. Fing an, ausfällig zu werden. Hin und wieder. Nicht ihr gegenüber. Alles ging noch in diesen Tagen und Wochen, aber wenn sie heute darüber nachdenkt, hat Hanns damals vielleicht begonnen, sich seine Wut zu erlaufen. Dann hat er sie irgendwo |208| eingeschlossen und konserviert, und nun ist die Tür zu dieser dunklen Kammer aufgegangen.
Du warst früher nie wütend, sagt Veronika und schaut Hanns an, der froh über das quietschige Pink in seinem Kopf ist.
Du hast alles verstanden und bist mit allem klargekommen. Dich hat nichts aus der Bahn geworfen, und du hast mich immer geliebt. Immer hast du mich geliebt. Hast du mich immer geliebt?
Ja, sagt er. Ich habe dich immer geliebt. Und ich liebe dich immer noch. Und später werde ich dich auch immer geliebt haben und immer noch lieben. Aber vielleicht schaffen wir es nicht, Vroni.
Sie nickt. Weiß jetzt schon, dass sie es nicht schaffen werden. Es sei denn. Wenn Daniel mein Sohn ist und in unser Leben kommt. Wenn ich alles wiedergutmachen kann, das müsste doch gehen. Das sollte doch genügen für den Rest unseres Lebens. Veronika überlegt sich, ob dieser Gedanke jetzt schon ausgesprochen werden sollte, und entscheidet sich dagegen. Sie ist allein. Hanns ist allein. Das war nie ein großes Problem. Es gab immer Dinge und Angelegenheiten, mit denen sie sich ohne den anderen herumgeschlagen haben, die sie für sich klarmachten. Jetzt aber ist es plötzlich schlimm. Vielleicht geht das vorüber.
Was wollen wir machen, fragt Veronika. Wie soll dieser Tag verlaufen? Hast du einen schönen Plan?
Sie räumt den Tisch ab und füllt damit den Raum zwischen sich und ihrem Mann. Der dasitzt und sich nicht bewegt.
Wir gehen auf den Markt. Heute ist Markttag. Ich zeig dir all die Leute, die ich inzwischen kenne. Mach dich hübsch, Vroni, zieh an, was du gestern getragen hast, als ich dich vom Zug abholte. Ich will eine geile Braut neben mir haben, wenn wir durch die Stadt laufen.
|209| Hanns steht auf und geht ins Wohnzimmer. Legt heftiges Zeug auf, kreischende Musik, die so fürchterlich ist, dass Veronika ins Bad flüchtet, um sich ein zweites Mal an diesem Tag herzurichten. Sie trägt dick auf, präpariert sich für Strass und Glitzer. Wenn Hanns es so möchte, soll er es bekommen. Irgendjemand klopft von oben gegen die brüllende Musik. Veronika hört ihren Mann schreien, die da oben mögen das Maul halten oder runterkommen. So steht es also in der Nachbarschaft, denkt sie. Da macht sich der Herr Redakteur aber keine Freunde. Sie geht ins Wohnzimmer und dreht die Musik leiser. Nimmt ihren Mann an die Hand, zieht ihn ins Schlafzimmer und schenkt ihm ein bisschen Ruhe, die er zwischen ihren Beinen und in ihrem Leib findet. Danach machen sie sich auf den Weg.
|210| 17. Kapitel
Der Markt lässt vergessen, dass hier sonst kein Leben tobt. Veronika ist beeindruckt von dem lauten Gewusel und der fröhlichen Geschäftigkeit. Wenn es immer so wäre, könnte man hier leben. Hanns hat sich auf dem kurzen Weg von der Wohnung bis zum Marktplatz verwandelt. Aus einem frustrierten Verlierer ist ein selbstbewusster Aufschneider geworden. Nach so wenigen Wochen schon scheint er sie alle zu kennen, die in der Stadt leben und irgendetwas tun, um am Leben zu bleiben. Veronika läuft neben ihm her, dem Lokalredakteur, der ihr Mann ist, und lässt sich nach einhundert Metern etwas zurückfallen. Aber jedes Mal, wenn Hanns stehen bleibt, um jemanden zu begrüßen oder begrüßt zu werden, zieht er sie wieder zu sich ran und stellt sie vor. Wartet, bis ein, zwei höfliche Sätze gewechselt sind. Wieso wechselt man eigentlich Sätze, fragt sie sich. Das ist doch Schwachsinn, es so zu sagen.
Nach zwanzig Minuten haben sie es bis zum eigentlichen Markt geschafft, und Veronika schlägt vor, dass man sich trennt und wieder trifft, wenn jeder seinen Rundgang beendet hat.
Bitte nicht, sagt Hanns. Ich will dich neben mir haben. Allein
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