Lokale Erschuetterung
gefällt es nicht, wenn einer wie ich hier herumliegt. Mitten in der Stadt.
Das kann Veronika sich denken. Sie wundert sich sowieso, dass ein Penner sich so nah am Marktplatz zum Schlafen niederlässt. Da gibt es doch sicher ruhigere Orte, an denen man nicht so. Öffentlich ist.
Schlafen Sie immer hier?
Der Mann schaut sie an, wahrscheinlich will er wissen, ob sie sich über ihn lustig macht oder wirklich mit ihm redet. Er kratzt sich am Hals, und Veronika denkt, er tut das, um sie zu testen. Penner, die sich kratzen, sind eklig. Oder mindestens unangenehm. Wenn sie jetzt abhaut, sich umdreht und geht, hat sie wahrscheinlich alle Vorurteile bestätigt, die Typen wie der Frauen wie ihr entgegenbringen. Ist doch witzig, denkt sie, dass ich mir Gedanken darüber mache, ob ich die Vorurteile eines nutzlosen Menschen bestätige. Und dieser Gedanke treibt ihr fast die Röte auf die Wangen. Vor Scham. Noch vor wenigen Monaten hätte sie so was nicht gedacht. Denkt sie jetzt. Dass es nutzlose Menschen geben könnte und dass es ihr doch eigentlich egal sein muss, was so ein schlecht riechender Mann mit Zahnlücken und dem Schmutzfilm von Tagen auf den Wangen von ihr hält.
Ich schlafe nur einmal in der Woche hier. Gönne mir das sozusagen. Im Sommer haben die Leute ihre Fenster auf. Auch nachts. Man kann hören, wie sie leben. Ein |203| bisschen jedenfalls. Nicht, dass ich mich danach sehne. Ich bin nur neugierig, und hier kann ich meine Neugier befriedigen. Da oben.
Der Penner zeigt mit dem Finger auf das Haus gegenüber.
Im dritten Stock. Da wohnen zwei, die sich gern streiten. Aber niveauvoll, das muss ich sagen. Nicht, dass sie sich dabei zerstören. Sie streiten halt. Im Wohnzimmer offensichtlich, das Schlafzimmer liegt wahrscheinlich nach hinten raus.
Worüber streiten die sich denn niveauvoll? Veronika geht zwei Schritte näher an den Penner ran, und nun kann sie ihn auch riechen. Ein dumpfer, leicht säuerlicher Geruch, weniger unangenehm als gedacht.
Gestern Abend haben sie laut überlegt, ob es Sinn hat, gemeinsam zum nächsten Familiengeburtstag zu fahren. Der Mann kann offensichtlich die Familie seiner Frau nicht besonders leiden.
Veronika schielt auf die ausgehängte Zeitung. Und plötzlich bekommt sie ein Gefühl für die Komik dieser Situation. Dass der Penner ihr Geschichten vom Leben erzählt und dabei muffig riecht. Und in dem Käseblatt, das hier im Schaufenster hängt, ist auf der Frontseite unter der Überschrift Meckernder Liebhaber zu lesen: Ein ebenso prachtvoller wie herrenloser Ziegenbock zog am Freitag durch Warlitz. Beim Anblick von zwanzig Ziegendamen ließ sich das Tier von seinen Instinkten überwältigen. Die alarmierte Polizei konnte den Bock von seinem unsittlichen Tun abbringen, aber nicht seine Personalien feststellen.
So etwas schreibt Hanns doch nicht. Das kann nicht sein.
Das ist doch meistens so, dass die angehängten Familien nicht auf besonders viel Sympathie stoßen.
|204| Veronika lächelt den Penner an. Der nickt und macht damit den Eindruck, als hätte er das auch schon mal erlebt. Er nimmt seine Tüten und wünscht ihr einen schönen Tag in unserem schönen Frankenburg.
Dein Wort in Gottes Ohr, denkt sie den Großmutterspruch für schlechte Ahnungen. Dann erinnert sie sich an die große Runde, die sie damals hier in Frankenburg gelaufen war. Als sie mit Hanns die Stadt besichtigt hatte. Die wird sie jetzt noch einmal laufen. Damit kriegt sie gut eine Stunde rum, und wenn sie wieder hier gelandet ist, werden die Bäcker geöffnet haben.
Zwei Stunden später sitzt sie mit Hanns beim Frühstück. Redet mit ihm wie gestern Abend schon um den heißen Brei herum. Sie traut sich nicht, und er will nicht. Oder umgekehrt. Als bliebe das Kind, das ein erwachsener Mann ist, ungeboren, wenn sie es totschweigen.
Heute Abend ist Heimatfest in Brockel. Bei dieser Ankündigung sieht Hanns aus, als könne er es selbst nicht glauben. Dass er das hier erzählt, als sei es das Wichtigste von der Welt. Ich muss da hin, wenigstens zwei Stunden. Wird aber ganz nett, du langweilst dich bestimmt nicht. Ich treffe da ein paar Leute, das spart Zeit und Wege. Alle sind dort, leicht betrunken und offen für Gespräche. Ein guter Lokaljournalist nutzt die Gelegenheit.
Hanns grinst und sieht verrückt aus. Veronika glaubt ihm kein Wort. Sie kauft ihm nicht den Eifer ab und nicht die Lust auf diesen Abend. Aber ja, sie wird mitkommen und sich amüsieren.
Ich werde Daniel fragen. Ich frage ihn,
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