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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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und davon. Daran konnten auch die freundlich-burschikosen Schwestern nichts ändern und erst recht nicht die ziemlich kompetent wirkenden Ärzte, die ihm tatsächlich immer erklärten, warum sie jetzt diese oder jene Untersuchung machen wollten.
    Hanns erinnert sich an den Mann, der neben ihm im Zimmer gelegen hatte. Dem sie tausend Meter Darm entfernt hatten, weil der Krebs in all den Verschlingungen tobte. Der neben ihm lag mit einem Beutel am Körper, in dem sich Scheiße sammelte. Ein junger Kerl war das, gerade mal zwei oder drei Jahre älter als er. Der ging mit seinem Beutel Scheiße am Körper und dem Tropf und allem Gewese zehn Mal am Tag runter, um zu rauchen. Blieb da immer mindestens eine halbe Stunde. Also hat er wahrscheinlich jedes Mal drei Zigaretten geraucht. Hanns hatte ihn gefragt, warum er nicht aufhöre mit der Quarzerei. Spinnst du, hatte der Typ gesagt. Ich fahr doch eh in die Grube. Nikotin hält die Würmer ab.
    Dann war er wieder mit Scheiße und Tropf und allem Drum und Dran zum Fahrstuhl gelaufen, um die nächste Zigarettenpause einzulegen. Am Abend hatten sie zusammen ein Fußballspiel gesehen, Hertha gegen wen auch |246| immer. Der Typ hatte gebrüllt, als sei er im Stadion, und Hanns erinnert sich, dass ihm angst und bange wurde, der Scheißebeutel könnte sich lösen, auf den Boden klatschen und Gestank verbreiten. Angst und bange war ihm. Genau, denkt er jetzt, da er hier im Eingangsbereich des Klinikums steht. Das klingt doch schön. Angst und bange.
    In der Cafeteria, die rechts im Foyer untergebracht ist, tobt schon das Leben. Sieche und Kranke sitzen an den kleinen Bistrotischen und lassen sich von ihren Besuchern erzählen, wie es draußen so ist. Vielleicht sollte er sich erst mal hierhersetzen und hören, was die Leute so quatschen. Das wäre doch eine Idee, die ihm eine sinnvolle Verschnaufpause verschaffte. Er könnte sich aber auch nach Tornemann erkundigen. Ob der das Buffet überlebt hat.
    Hanns geht zum Infotresen und fragt nach der Station von Wilhelm Tornemann. Vier B, wird ihm bekundet. Also geht er erst einmal dahin. Sein Handy piept kurz. Bosse hat eine SMS geschickt. Woher kennt der seine Mobilnummer? Verdammt. Hat die Irene rausgegeben? Bosse schreibt, man habe den Diskussionsabend von Mittwoch auf Dienstag vorverlegt. Wenn er Lust habe, könne er ja hinkommen. Hanns schreibt zurück: Ich versuchs. Dann fährt er hoch in die Vier B. Sucht das Zimmer sechs. Tornemann liegt im Bett am Fenster. Hanns stellt sich ans Fußende und wartet, bis der Mann die Augen aufschlägt. Sie, flüstert er und macht die Augen wieder zu. Wollen Sie, dass ich mich jetzt schon bedanke?
    Ich wollte wissen, wie es Ihnen geht.
    Schlecht. Bin auf Entzug. Tornemann öffnet die Augen erneut. War schon in Ordnung, dass sie mich unterm Schrank vorgeholt haben.
    Danke, sagt Hanns und kommt sich albern vor. Jetzt bedankt er sich also bei dem Suffkopp hier dafür, dass er ihn retten durfte.
    |247| Martha ist eine Furie, und ich bin ein Säufer. Fragt sich, wer wen zu was gemacht hat.
    Hanns schweigt. Dazu lässt sich wenig sagen.
    Hab mir ein paar Rippen gebrochen und Quetschungen. Innere Blutergüsse irgendwo. Hab ich vergessen. Alles halb so schlimm. Schlimm ist, dass ich bald wieder nach Hause komme. Es sei denn, ich erkläre mich bereit, in so eine Klinik für Alkoholiker zu gehen. Hat man mir hier schon angeboten.
    Sie sollten das tun.
    Hören Sie. Ich halte dieses Leben nüchtern nicht aus. Das ist doch immer die Crux. Die meisten Säufer halten das Leben nüchtern nicht aus. Soll keine Entschuldigung sein, nur eine Erklärung. Martha schlägt mich. Das täte sie auch, wenn ich nüchtern wäre. Sie braucht das. War früher bei der ABI.
    Hanns guckt und denkt nach, wofür diese drei Buchstaben gestanden hatten.
    Arbeiter-und-Bauern-Inspektion. Ist lange her. Wurde irgendwann umbenannt, weiß nicht mehr. Erst war sie bei der ABI, und dann ist sie so ’ne Vorzimmerbraut geworden. Hier im Rathaus. Wilhelm Tornemann atmet schwer beim Reden.
    Haben Sie Schmerzen?
    Die haben mir was gegeben. Geht schon. Weiß auch nicht, wann das angefangen hat. Ein halbes Jahr nach ihrer Entlassung. Marthas Entlassung. Da hat sie mich zum ersten Mal geschlagen. Wusste wohl, dass ein Kerl über so was nicht redet. Mit anderen. Dass es unter uns bleibt, was sie da macht. Ist auch nicht oft vorgekommen. Sie hat mich geschlagen, wie man ein Kind haut, wenn es was angestellt hat. Haben Sie Kinder?
    Hanns

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