Lokale Erschuetterung
Krankenschwester.
Jetzt nickt die Verkäuferin und stimmt Hanns begeistert zu: Genau, bevor es hier einem Weißkittel an die Wäsche geht, stecken die lieber drei Schwestern in den Knast. Das ist so ungerecht wie alles andere auch.
Dann kommt ein Patient in den Laden. Trägt einen gestreiften Bademantel, weiße Socken und Badelatschen. Über den weißen Socken wölben sich dunkelblaue Krampfadern und malen Landkarten auf die Waden. Die Hände sehen nicht anders aus, und die Stirn des Typen ist eingedrückt, als hätten sie ihm einen Teil des Hirns entfernt. Hanns sieht zu, wie der Mann, der den Eindruck macht, als könne er kaum krauchen, jedes Revolverblatt abgreift, das zu haben ist. Den ganzen Boulevard. So viel Scheiße möchte ich nicht im Kopf haben, denkt Hanns. Wenn der das alles liest, muss er ja völlig verblödet sein. Der Mann dreht sich um und sieht Hanns an, als könne er Gedanken |251| lesen. Hinter seiner Stirn pulsiert es. Offensichtlich fehlt ihm ein Stück Knochen und nicht das Hirn.
Der Mann hebt die Hand, als wolle er zuschlagen, nimmt einen Knopf oder einen Gummipfropfen, den Hanns erst jetzt sieht und der um den Hals des Mannes baumelt. Legt das Teil auf ein Loch in der Kehle und sagt: Hier ist es egal, was du liest, glauben Sie mir. Sieht Hanns mit grüngelben Augen an und wartet, ob der was dazu zu sagen hat. Hat er nicht. Kehlkopfkrebs entschuldigt wahrscheinlich alles.
Die Verkäuferin kassiert ab und macht nicht den Eindruck, als wolle sie danach den Faden noch einmal aufnehmen. Hanns winkt ihr zu und geht. Nun wird er den offiziellen Besuch bei der Pressesprecherin machen, wie es sich gehört. Und einmal hochfahren auf die Geriatrische. Gucken, wie es da aussieht, ob der Betrieb hektischer wirkt als sonst. Vielleicht sollte er mal die Todesanzeigen durchsehen, bei der Anzeigenabteilung. Und wenn da eine Einundneunzigjährige eingegangen ist, kann er schauen, ob die einen Sohn hat, der Anwalt ist. Das wäre doch was. Er könnte versuchen, mit dem Typen zu reden. Obwohl Anwälte. Denen muss man ja die Mandeln bekanntlich durchs Arschloch entfernen, weil die den Mund nicht aufmachen. Hanns läuft den langen Gang entlang zum Büro der Pressesprecherin und fühlt sich wohl jetzt, da er einfach ein Kotzbrocken sein kann. Der Kotzbrocken gefällt ihm viel besser als dieser traurige Kloß, der vorhin noch am Schreibtisch saß und keine Lust mehr auf grauenvolle Meldungen hatte. Sehr viel besser.
Die Pressesprecherin tut das, was sie tun muss. Sie speist Hanns mit spärlichen Informationen ab. Ist freundlich und gibt ihm ein, zwei Häppchen, um zu signalisieren, dass er bevorzugt behandelt wird. Bittet um Verständnis, dass es noch kein Statement seitens der Klinikleitung gibt. Sagt |252| zu, sich sofort zu melden, wenn sie etwas Neues erfährt. Ihn wird sie zuerst anrufen, versprochen. Hanns fragt, ob es stimme, dass der Auslöser der Geschichte der Tod einer über neunzigjährigen Patientin sei? Die Pressesprecherin überlegt einen Moment, schüttelt den Kopf und sagt, das könne sie weder bestätigen noch dementieren. Die hat wohl einen Lehrgang besucht, denkt er, wo man diesen ganzen bescheuerten Jargon lernen kann. Aber er gibt sich zufrieden. Sagt, er würde am Nachmittag noch einmal anrufen, und verabschiedet sich. Fährt hoch in die Geriatrie und läuft einmal den Gang entlang. Tut, als wäre er ein Besucher, aber das kauft ihm hier niemand ab. Eine Schwester fragt, zu wem er möchte, und halbherzig will er wissen, ob er mit dem Leitenden Arzt sprechen kann. Kann er nicht, es ist gerade Visite. Also geht er wieder und macht sich auf den Weg zurück in die Redaktion.
|253| 21. Kapitel
Fast hätte sie den Termin am Vormittag vergessen. Der wäre ihr durchgerutscht. Aber beim Kaffeekochen morgens um sieben wirft sie an diesem grauen Montag doch einen Blick in den Kalender. Darin steht für vierzehn Uhr das Gespräch im Bundestag, noch mit einem Fragezeichen versehen. Publikation EU-Bundestag steht da und dahinter ein wackliges Fragezeichen Aber das kann gestrichen werden. Die Sekretärin hat gemailt, es bliebe dabei. Und um zehn Uhr steht in Veronikas Kalender Synergie Consulting. Beinahe wäre ihr ein Kunde durch die Lappen gegangen. Ein potentieller Kunde. Kann sie sich das leisten? Eigentlich schon. Eigentlich ja. Aber sie will es nicht provozieren. Nicht nachlässig werden im Rennen ums Geld. Vielleicht ist Synergie Consulting ja ein ganz großer Fisch. Am Telefon hatte der Typ so
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