Lokale Erschuetterung
Suche erleichtert. Aber alles, was ihr einfällt, ist, dass Daniel gern ins Kino geht. So hat es Hanns einmal erzählt, dass Daniel immer mit ihm ins Kino will. Sie kann ja wohl schlecht alle Kinos in Berlin abklappern. Nicht in zwei Tagen. Und selbst wenn, nach welchen Suchkriterien sollte sie denn vorgehen?
Veronika spürt, dass ihre Augen anfangen zu brennen. Gleich wird sie heulen. Aber in dem Moment geht die Tür auf, und Markus Schiffer kommt mit ausgestreckter Hand auf sie zu.
Frau Grabowski, ich muss mich entschuldigen. Aber das Meeting dauerte länger als erwartet. Ein schwieriger Kunde, na, wem erzähle ich das. Sie kennen sich sicher mit schwierigen Kunden aus. Sind Sie versorgt, haben Sie einen Kaffee bekommen?
Veronika nickt und setzt sich wieder auf ihren Platz. Markus Schiffer nimmt den Stuhl ihr gegenüber, so haben sie zwischen sich zwei Meter Tisch und was einen sonst noch alles befremdet. Das ist beruhigend. Das Gespräch selbst ist nicht anstrengend. Nachdem Veronika fünf Minuten etwas über sich erzählt hat, kommt sie nicht mehr zu Wort. Der Schaumschläger redet und redet. Von sich, der Firmengründung, den Erfolgen.
Wir wachsen, Frau Grabowski. Ich überlege, auf den europäischen Markt zu gehen. Die ersten Kontakte sind angebahnt. Osteuropa. Ein Markt voller Möglichkeiten. Die Unternehmen dort, die Start-ups, brauchen nichts dringender als Beratung und Konzepte. Da will ich hin. Habe mir schon einen polnischen Muttersprachler eingekauft. Klasse Mann. Hat Slawistik studiert, aber was will er damit? Hier spielt die Musik. Also ein Name. Ich denke noch darüber nach, ob ich eine Holding gründe. Macht was her und lässt sich einfacher handeln. Aber das kommt später. Zuerst einmal brauche ich einen neuen |262| Namen, den ich auf dem deutschen Markt platziere. Kann auch was mit meinem Namen sein, muss aber nicht. Lieber wäre mir so ein Kunstwort, wissen Sie. So was, helfen Sie mir mal, wie NATO, wissen Sie?
Ein Akronym, wirft Veronika ein und hat den Schaumschläger beeindruckt.
Genau, genau, ein Akronym. Oder halt was ganz Neues. Sie werden das machen. Zuerst einmal müssen Sie mir sagen, was es kostet. Und denken Sie daran. Wenn Sie mir einen guten Preis machen, wachsen Sie mit mir mit, Frau Grabowski. Dann kommen noch andere Aufträge.
Markus Schiffer hat sein Pulver verschossen. Sieht Veronika erwartungsvoll an, als erwarte er, dass sie ihm gleich eine wunderschöne Buchstabenkombination herzaubert, hinter die er nur noch GmbH schreiben muss, und fertig.
Veronika lächelt und verspricht, am nächsten Tag ein Angebot zu schicken. Fragt, ob darin auch die grafische Umsetzung und Gestaltung eines Logos enthalten sein soll.
Markus Schiffer nickt begeistert. Natürlich, ein Logo. Brauch ich. Und wie gesagt, Frau Grabowski. Ist das alles schön, machen wir dann zusammen das ganze Corporate Design.
Das war es. So einfach. Möglicherweise wird Markus Schiffer abdrehen, wenn er das Angebot liest, aber vielleicht auch nicht.
Veronika fährt zu dem Supermarkt, in dem Hanns damals Daniel kennengelernt hatte. Das hat keinen Sinn. Aber sie stellt das Auto trotzdem auf den Parkplatz, nimmt sich einen Einkaufswagen und geht rein. Vielleicht arbeitet er ja hier. Nicht einmal das hatte sie gefragt. Ob dieser Daniel, der Hanns vor einer Straftat bewahrt hatte damals, hier im Supermarkt arbeitet. Möglich wäre es. |263| Veronika läuft mit dem Einkaufswagen durch alle Reihen und schaut sich die Menschen an, die hier arbeiten. Das sind fast nur Frauen. Sie füllen Waren in die Regale und schieben große Paletten auf unhandlichen Rollwagen hin und her. Veronika spricht eine von ihnen an, die gerade Frischmilch in ein Kühlregal umpackt.
Ist Daniel da, fragt sie und hält den Atem an. Die Verkäuferin stutzt einen Moment, überlegt und schüttelt dann den Kopf. Ein Daniel arbeitet hier nich, glob ick, sagt sie. Aber fragen Se mal den Chef. Der sitzt gerade an Kasse zwei. Zu wenig Personal, schiebt sie hinterher, als müsse es entschuldigt werden, dass der Chef an der Kasse sitzt.
Veronika bleibt unschlüssig stehen.
Wolln ’se nich, fragt die Verkäuferin und zwinkert Veronika zu. Die schüttelt den Kopf. Sie will nicht. Ich kenne den Nachnamen von Daniel nicht. Ging alles zu schnell, sagt sie und spürt, dass sie tatsächlich ein bisschen rot wird bei dem Satz.
Kenn ick, sagt die Verkäuferin. Liegt nich an uns. Liegt an den Kerlen. Rein, raus, weg. Mehr fällt denen nicht ein. Wartensemal. Ick
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