Lokale Erschuetterung
zu finden, die teurer aussehen, als sie sind. Sie streift das Kleid über den Kopf und rückt ihn damit wieder gerade. Kleider sind gut gegen Angst. Tabletten auch. Nun hat sie beide Geschütze aufgefahren. Gegen Markus Schiffer, den Schaumschläger aus der Consultingbranche.
Vor dem Briefkasten zögert sie einen Moment. Hat so ein Gefühl. Öffnet den Kasten dann doch und findet nur Werbung. Seltsamerweise macht sie das ein bisschen traurig. Vielleicht, weil es nun keinen Grund gibt, sofort bei Martin Wagemut anzurufen. Sie geht zum Auto und sieht, dass sie sich ähnlicher Methoden wird bedienen müssen wie ihre Nachbarin. Hat sie wirklich so eingeparkt, oder sind die vor und hinter ihr stehenden Wagen später dazugestellt worden? Eine absolut unerhebliche |259| Frage, aber im Moment wichtig. Veronika setzt sich ins Auto und kramt im Handschuhfach. Glaubt, dass dort noch eine vergammelte Schachtel Zigaretten liegt. Findet keine und beschließt, zuerst zur Tankstelle zu fahren. Wenn sie hier jemals rauskommt aus dieser Parklücke.
In dem Augenblick, als ihr Auto das erste Mal ganz leicht den vor ihr stehenden Wagen touchiert, kommt Veronika der Gedanke, sich auf die Suche nach Daniel zu machen. Sie hätte nur zwei Tage Zeit dafür. Heute und morgen. Übermorgen schon würde er nach Frankenburg fahren und von Hanns zur Rede gestellt werden. Wenn er fährt. Vielleicht verschwindet er ja auch bis dahin. Aber wenn Daniel nicht nach Frankenburg kommt, dann wissen wir, dass er es ist, und dann ist er nicht verschwunden. Veronika denkt diesen Gedanken und findet ihn erst logisch und dann völlig unlogisch. Daniel weiß nicht, was ihn erwartet. Er will nichts weiter, als seinen Freund Hanns besuchen. Ihr Gedanke war also völlig verdreht. Weniger verdreht scheint die Überlegung, die Hilfe von Martin Wagemut in Anspruch zu nehmen, um Daniel zu finden, bevor er nach Frankenburg fährt. Ich kenne noch nicht einmal seinen Nachnamen. Daniel Undwieweiter? Kann Martin damit etwas anfangen? Wenn es nur einen Vornamen, ein Geburtsdatum und eine Geschichte gibt, die keiner glaubt? Veronika schubst den vor ihr stehenden Wagen zum letzten Mal leicht an, touchiert ihn beim Rausfahren. Küsschen, sagt sie. Nimm es nicht übel. An der Tankstelle kauft sie eine Schachtel von diesen angeblich gesunden Zigaretten. Biobio, flüstert Veronika und zündet sich gleich im Auto eine an. Sie kramt nach dem Handy und versucht, Hanns zu erreichen. Bekommt nur seine Mailbox zu hören mit dem offiziellen Spruch eines Lokalredakteurs. Hinterlassen Sie bitte. Gar nichts hinterlasse ich, denkt sie und verschluckt sich am Zigarettenrauch. |260| Nur einen verlassenen Sohn hinterlasse ich als Nachlass, das lass ich mir nicht nehmen.
Hanns, sagt sie atemlos ins Telefon, als der dumme Spruch eines Lokalredakteurs endlich zu Ende gesagt ist. Hanns, wie heißt denn Daniel mit Nachnamen. Ich.
Was soll sie jetzt sagen? Dass sie Daniel suchen und zur Rede stellen will? Dann verrät ihr Hanns nie und nimmer den Namen.
Ich. Habe gedacht, es wäre leichter für mich, wüsste ich das. Ist auch nicht so wichtig. Es kam mir so vor, als könnte es gut sein, das zu wissen. Hanns, vergiss es. Ich.
Veronika drückt das Gespräch mit einer Mailbox frustriert weg. Sie wird ihren Mann misstrauisch gemacht haben. Und genau das wollte sie nicht. Jemand klopft an die Scheibe der Fahrerseite. Veronika öffnet das Fenster und lässt sich von dem jungen Tankwart ermahnen, hier nicht zu rauchen. Direkt auf dem Gelände der Tankstelle. Es ist ihr peinlich. Sie drückt die Zigarette im Aschenbecher aus und fährt los. Zwanzig Minuten später steht sie bei Markus Schiffer im Büro.
Der ist nicht da, als sich Veronika pünktlich bei dessen Sekretärin anmeldet. Herr Schiffer sei noch im Gespräch, sagt die Frau, und Veronika wundert sich, dass bei dem jungen Schaumschläger ein älteres Semester im Vorzimmer sitzt. Hätte sie dem gar nicht zugetraut. Die Sekretärin bietet ihr einen Kaffee an und bringt sie in einen Besprechungsraum, der so groß ist wie ein Flugzeugträger. Das wiederum passt. Veronika setzt sich und wartet. Trinkt ihren Kaffee und überlegt, ob sie Martin anrufen soll. Sich mit ihm verabreden, um über Daniel zu sprechen. Darüber, wie man ihn finden kann. Verwirft den Gedanken wieder für diesen Moment. Versucht stattdessen, sich alles in Erinnerung zu rufen, was Hanns bis jetzt über Daniel erzählt hat. Ob sich da ein Anhaltspunkt finden |261| lässt, der die
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