Lokale Erschuetterung
Lappen gehen lassen könnte.
Bosse nickt und lächelt ebenfalls. Wir überlegen, den Organisatoren des Konzerts unsere Unterstützung anzubieten. Allerdings müsste dann der Titel geändert werden. Aber da ließe sich sicher was machen. Unser Vorschlag |269| wäre so was wie: Gegen Ausgrenzung und Intoleranz. Da könnten wir gut mit leben, nicht wahr?
Alle in der Runde nicken, bis auf die Bibliothekarin.
Bist du nicht meiner Meinung, Greta, fragt Bosse und lächelt weiter.
Ja, ich bin nicht deiner Meinung. Es ist ja wohl eine Haltung, rechts zu sein. Auf die man stolz sein kann. Sage ich. Das muss keiner teilen, dass ich stolz bin. Aber wenn die ein Konzert gegen Rechts, also gegen eine wie mich veranstalten wollen, werde ich doch nicht noch meine Hilfe anbieten. Egal, wie die das nennen.
Bosse stimmt zu. Das ist eine Meinung, die ich achte. Aber ich versuche, strategisch zu denken. Bin dafür, dass wir uns erst einmal bemühen, den gemeinsamen Nenner zu finden. Hier in der Stadt. Und gegen Ausgrenzung und Intoleranz zu sein wäre so etwas wie ein gemeinsamer Nenner, denke ich. Wenn man sich darauf geeinigt hat, dass dies anständigen Deutschen nicht gut zu Gesicht steht, kann man beginnen darüber zu reden, dass wir, die anständigen Rechten, auch ausgegrenzt werden. Weil wir eine Haltung haben und die auch offensiv vertreten.
So weit, so gut, denkt Hanns und stopft sich Nüsse in den Mund. Die sind nicht gesalzen, und das findet er eklig. Nur gesalzene Nüsse sind erträglich. Er spült mit einem halben Glas Weiswein hinterher, trinkt in großen Schlucken, bevor er merkt, dass es sich hier um ein recht gutes Tröpfchen handeln muss. Bosse lächelt ihn an.
Aber da sind wir ja schon mittendrin in der Diskussion. Ich wollte Hanns noch ein bisschen in das Prozedere einweihen, damit er weiß, was auf ihn zukommt und ob er sich damit anfreunden kann. Wir treffen uns hier seit zwei Jahren. Immer bei mir, wenn möglich, ein Mal im Monat. Legen bei jedem Treffen fest, worüber wir beim |270| nächsten Mal reden wollen. Heute zum Beispiel darüber, ob die rechte intellektuelle Elite die Initiative ergreifen und eine neue Partei gründen sollte oder ob es besser ist, einen zweiten Versuch zu unternehmen, eine existierende Partei durch Masseneintritte nach unseren Vorstellungen umzuformen. Sozusagen programmatisch Einfluss zu nehmen. Infiltration, auch wenn das ein hässliches Wort ist. Wird dir ja bekannt sein, Hanns, dass von Stahl und ein paar andere das mal in Berlin versucht haben. Haben sich zu dumm angestellt, zu früh die falschen Interviews gegeben, anstatt zu arbeiten und die Hand zu heben, wenn Leute gebraucht werden, die was machen. Gut, das ist Schnee von gestern, interessiert keinen mehr.
Wir reden offen, es gibt keine Denkverbote. Alles kann hier im Raum ausgesprochen werden. Wer mitreden will, hat die Pflicht, sich klug zu lesen. Dummschwätzer gibt es genug, wir streben ein bestimmtes Niveau der Diskussion an. Deshalb gibt es auch bei jedem Treffen mindestens einen Impulsvortrag. Heute bin ich dran mit einer Analyse der Frage, wer hier im Land die kulturelle Hegemonie innehat und welche Wege sich auf Basis historischer Erfahrungen beschreiben lassen, die kulturelle Hegemonie zu erlangen. Klingt nach harter Kost, aber wir bemühen uns, das Ganze nicht allzu lehrbuchhaft zu veranstalten. Am wichtigsten sind die Debatten. Ein Vortrag darf nie länger als dreißig Minuten dauern.
Bosse sieht Hanns in die Augen und wartet, ob der etwas dazu zu sagen hat. Wahrscheinlich sollte er etwas sagen, bevor hier jemand glaubt, dass er schon einervondenen ist, noch ehe der erste Abend stattgefunden hat.
Ich bin nicht hier, um einer von euch zu werden. Nur neugierig bin ich. Mich interessieren eure Argumentationen. Politisch lass ich mich sowieso nicht vereinnahmen, das kommt nicht gut bei einem Journalisten. Wir sollten |271| unabhängig sein, auch wenn wir nur Lokaljournalismus machen.
Hanns kommt sich vor wie ein blöder Wichser. Blöder Wichser, denkt er, was erzähl ich hier für einen Scheiß. Als hätte es mich jemals interessiert, unabhängig zu bleiben. Ich hab doch immer das Lied der Brotgeber gesungen.
Aber Bosse nickt begeistert, als hätte ihm Hanns eine Offenbarung beschert.
Natürlich, Hanns. Hier erwartet niemand, dass du dich vereinnahmen lässt.
Die Apothekerin macht ein Gesicht, als hätte sie das sehr wohl erwartet, aber vielleicht sieht sie auch nur aus wie immer. Hanns nimmt sich vor, den
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