Lola Bensky
waren sehr einträglich. Lola hatte gehört, dass Mick Jagger jeden zweiten Tag vierzig Minuten trainierte, auch wenn er nicht auf Tournee war. Auch Lola trainierte. An sechs Vormittagen der Woche schnaufte und keuchte sie eine Stunde und sieben Minuten auf dem Laufband, bei fünfeinhalb Stundenkilometern und einer neunprozentigen Steigung. Sie war sich nicht sicher, wie sie auf eine Stunde und sieben Minuten gekommen war, doch sie hielt eisern daran fest.
Sie war so eisern, dass sie das Laufband keine zehn Sekunden vor Ablauf dieser Zeit verlassen konnte. Sie konnte nicht früher herunter, selbst dann nicht, wenn sie eine gute Idee hatte, was Schlomo oder Harry tun oder sagen sollten. Auch nicht, wenn ihr ein ganzer Dialog für Pimp einfiel. Sie versuchte dann, sich die Idee oder den Dialog zu merken. Sie wiederholte sie in Gedanken, bis die Stunde und die sieben Minuten vorbei waren.
Lola hatte mit dem Training begonnen, als sie nach New York gezogen war. Sie hatte sich ein Nordic-Track-Gerät gekauft, eine Maschine, die Skilanglauf simulierte, und war in ihrem Loft in SoHo zu »Dancing in the Street« Ski gefahren. Zwanzig Wiederholungen von »Dancing in the Street« dauerten ungefähr eine Stunde. Es dauerte Jahre, bis Lola auffiel, dass sie lieber bei Stille trainierte.
Mr. Someone Else unterhielt sich gerade mit L'Wren Scott. Neben L'Wren Scott sahen alle anderen klein aus. Mr. Someone Else war ein Meter achtzig groß, doch neben der statues
ken Ms. Scott wirkte er beinahe untersetzt. Lola fragte sich, was Renia wohl von einer Tochter halten würde, die ein Meter achtundachtzig groß war. Renia fand, dass Lola mit ihren ein Meter siebzig deutlich zu groß sei. Als Lola ein Teenager war, wollten alle zierlich oder höchstens durchschnittlich groß sein. Heute wollten sie alle möglichst hochgewachsen sein. Frauen, die nicht mit natürlicher Größe gesegnet waren, spazierten auf Zwanzig-Zentimeter-Absätzen herum. Lola bewunderte L'Wren Scott. Sie ließ nicht wie so viele große Frauen die Schultern hängen. Sie hatte eine sehr gute Haltung. Und war sehr elegant.
Lola dagegen wollte sich gern setzen, Haltung hin oder her. Sie hatte den ganzen Tag mit Pimp und Schlomo zugebracht. Lola arbeitete an ihrem neuen Buch, dem dritten in der Reihe. Als Lola Pimp zurückließ, schrie Pimp gerade ins Telefon: »Petrushka, Petrushka. Nicht Patricia, nicht Leticia, nicht Pamela, Petrushka.« Schlomo hielt sich die Ohren zu. Seit er Yoga machte, ertrug er keinen Lärm mehr. Und Pimp war laut. »Petrushka Inge Maria Pagenstecker«, rief sie. Sie buchstabierte Pagenstecker und betonte jeden Buchstaben mit übertriebener Eindringlichkeit: PAGENSTECKER . »Wenn Sie Häagen-Dazs sagen können«, brüllte Pimp, »dann können Sie auch Pagenstecker sagen.« Lola fand, dass Pimp da etwas vermischte, was nicht zusammengehörte. Häagen-Dazs und Pagenstecker hatten nicht das Geringste miteinander zu tun.
»Kannst du bitte nicht so schreijen«, sagte Schlomo zu Pimp.
»Seit du Yoga machst, bildest du dir ein, du befindest dich auf einer höheren Ebene als wir, wie ein Rabbi oder ein Priester«, sagte Pimp. »Aber du irrst dich, du bist nur ein Privatdetektiv, der zu lange auf dem Kopf steht.«
»Der Kopfstand ist sehr gut für das Herz«, sagte Schlomo. »Er verschafft dem Herzen Ruhe. Das Herz muss den ganzen Tag gegen die Schwerkraft arbeiten.«
»Du glaubst doch an Gott, Schlomo«, sagte Pimp. »Wenn Gott glaubte, dass das Herz nicht mit der Schwerkraft fertig würde, würden wir alle kopfüber auf den Händen herumlaufen.«
Schlomos neuentdeckter Eifer für Yoga passte Pimp nicht. Sie war davon überrumpelt worden. Ein übergewichtiger, unordentlicher orthodoxer Jude war nicht die Sorte Mensch, von dem man annahm, dass sie zum Yogafanatiker mutierte. Schlomo ging dreimal in der Woche zum Yoga. Vor der ersten Stunde hatte er die Frauen in seiner Gruppe gefragt, ob es ihnen etwas ausmachen würde, sich zurückhaltend anzuziehen, ohne tiefe Ausschnitte und knappe Shorts. Alle acht Frauen hatten eingewilligt.
Schlomo war bei den anderen Mitgliedern seiner Yogagruppe sehr beliebt. Eine Frau war Klientin des ultraprivaten Detektivbüros geworden. Sie hatte den Verdacht, dass ihr Mann, ein Pilot, irgendwo in Amerika eine andere Frau und eine andere Familie hatte.
»Es gibt so viele Dinge in unserem Leben, die keinen Sinn ergeben«, sagte die Frau zu Schlomo. »Und bisher hatte ich zu viel Angst, um herauszufinden, was sie
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