Lola Bensky
hinzu.
»Für mich sehen Sie schlank aus«, sagte er.
»Nun, ich bin es nicht«, sagte sie und tätschelte ihre Hüften und Oberschenkel, um deren Ausmaße zu betonen.
Lola war rot geworden. Schlank genannt zu werden brachte sie aus der Fassung. Dick genannt zu werden hatte sie früher nie aus der Fassung gebracht. Andererseits hatte sie früher selten etwas aus der Fassung gebracht. Über Jahre nicht. Bis sie irgendwann beinahe alles aus der Fassung brachte.
Ein leises, doch vernehmliches Gemurmel breitete sich im Raum aus. Lola blickte auf. Ein neuer Gast war gekommen. Zu Lolas Überraschung war der Neuankömmling Mick Jagger. Man konnte spüren, wie seine Ankunft die Spannung im Raum erhöhte. Selbst für ein blasiertes New Yorker Publikum war Mick Jagger eine große Sache.
Lola freute sich, Mick Jagger zu sehen. Mick Jagger sah gut aus. Er trug ein glänzendes, pflaumenfarbenes Jackett und eine knallenge, braun, grau und dunkelrot karierte Röhrenho
se, dazu schwarze Turnschuhe und leuchtend grüne Socken. Er war auf bemerkenswerte Weise er selbst. So viele andere waren mehr als vierzig Jahre später kaum noch als diejenigen zu erkennen, die sie einmal gewesen waren. Doch Mick Jagger war immer noch Mick Jagger. Sein Haar war mehr oder weniger unverändert. Es sah nicht so aus, als sei es dünner geworden. Sein Körper wirkte mager und straff. Lola freute sich, dass Mick Jagger so gut aussah. Er wirkte wohlhabend. Und glücklich. Er war mit L'Wren Scott da, die früher als Model und Stylistin gearbeitet hatte und mittlerweile eine sehr erfolgreiche Modedesignerin war. Mick Jagger, das hatte Lola in der New York Times gelesen, sagte über sie beide, dass sie wohl irgendwie zusammen waren, obwohl sie schon seit zehn Jahren eine feste Beziehung hatten.
L'Wren Scott war sehr beeindruckend. Sie maß barfuß einen Meter achtundachtzig und überragte Mick Jagger und die meisten anderen Gäste im Raum. Sie war ganz in Schwarz gekleidet. Ein langes schwarzes Kleid, schwarze Strumpfhose, schwarze Schuhe. Ihr langes Haar, das ihr beinahe bis zur Taille reichte, war so schwarz wie ihre Kleidung. Und ihr Gesicht war so blass, wie ein Gesicht nur sein konnte, ohne krank zu wirken.
Es gab etliche Fotos von Mick Jagger, auf denen er mit stolzer Miene bei einer von L'Wren Scotts Modeschauen in der vorderen Reihe saß. Aber Mick Jagger hatte die wichtigen Frauen in seinem Leben wahrscheinlich schon immer sehr unterstützt, dachte Lola. Sie hatte gehört, dass er Marianne Faithful dabei geholfen habe, den Text von Tschechows Drei Schwestern einzustudieren, indem er die Rollen der anderen Schwestern übernahm. Und dass er zusammen mit Jerry Hall ihre Modelfotos ausgesucht habe.
Offenbar interessierte sich entweder Mick Jagger oder
L'Wren Scott für das Ballett oder die Bibliothek oder was auch immer diese Wohltätigkeitsveranstaltung unterstützte, sonst wären sie an diesem Abend nicht hier, dachte Lola. Sie wünschte, sie könnte sich daran erinnern, was der Anlass war.
Phyllis-Elissa trat auf Lola zu. »Ich möchte, dass du Mick Jagger kennenlernst«, sagte sie, nahm Lola an der Hand und führte sie zu Mick Jagger. »Mick, ich möchte, dass du Lola Bensky kennenlernst, die wunderbare, sehr talentierte Autorin des internationalen Bestsellers Schlomo in SoHo «, sagte Phyllis-Elissa.
»Hi«, sagte Mick Jagger und schüttelte Lola die Hand. »Nett, Sie kennenzulernen.«
» Schlomo in SoHo war in Europa eine Sensation«, sagte Phyllis-Elissa.
»Nicht in Europa«, sagte Lola. »Nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz.«
»Das ist Europa«, sagte Phyllis-Elissa.
New Yorker hatten eine Neigung, Superlative zu verwenden, wenn sie jemanden vorstellten, als steigere die Bedeutung des Gastes, Freundes oder Bekannten ihren eigenen Glanz. Phyllis-Elissa mit ihren Picassos und Matisses hatte es eigentlich nicht nötig, ihren Glanz aufzupolieren, dachte Lola, besonders nicht von Lola oder Schlomo. »Deutschland, Österreich und die Schweiz sind definitiv Europa«, sagte Mick Jagger.
»Sie sind ein Teil von Europa«, sagte Lola und wäre gerne etwas gewinnender oder zumindest weniger pedantisch gewesen.
»Lola lebt mit ihrem Ehemann, einem Maler, dessen Werke du in unserer Wohnung sehen kannst, in einem fabelhaften Loft in SoHo«, sagte Phyllis-Elissa.
»Es ist eigentlich kein fabelhaftes Loft«, sagte Lola. »Es ist ein ganz nettes Loft. Wir hatten Glück, wir haben es vor über
zwanzig Jahren gekauft.« Warum setzte sie
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