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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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allererste Mal zusah, überrieselte mich bei der Verarbeitung von soviel Schönheit geradezu ein fast schmerzhaftes Beben. Meine Lolita hatte eine berückende Art, zu Beginn ihres weiträumigen und federnden Aufschlags das gebeugte linke Knie zu heben, wenn sich ein lebendiges ausbalanciertes Netz zwischen vier Punkten ausspannte und einen Moment lang in den Strahlen der Sonne hing - zwischen der Fußspitze, der noch fast haarlosen Achselhöhle, dem gebräunten Arm und dem weit von hinten ausholenden Schläger -, während sie mit glitzernden Zähnen zu der kleinen Kugel emporlächelte, die hoch im Zenit des mächtigen und anmutigen Kosmos schwebte, welchen sie eigens zu dem Zweck erschaffen hatte, mit dem reinen, hallenden Knall ihrer goldenen Peitsche auf ihn einzuschlagen.
    Ihrem Aufschlag waren Schönheit, Direktheit, Jugend, eine klassische Reinheit der Schlägerbewegung eigen - und doch war er trotz seines flinken Tempos ziemlich leicht zurückzuspielen, denn ihre langen, eleganten Bälle waren ohne Drall und Wucht.
    Bei dem Gedanken, daß ich all ihre Schläge, all ihren Zauber auf Zelluloidsegmenten hätte verewigen können, muß ich heute stöhnen vor Frustration. Sie wären so viel mehr gewesen als die Momentaufnahmen, die ich verbrannt habe. Ihr hoher Flugball stand in der gleichen Beziehung zu ihrem Service wie das Geleit zu einer alten lyrischen Ballade; denn man hatte meiner Schmusekatze beigebracht, auf ihren behenden, lebhaften, weißbeschuhten Füßen nach dem Aufschlag sofort ans Netz zu sprengen. Ihre Vorhand und ihre Rückhand waren einander ebenbürtig: Sie waren Spiegelbilder - meine Lenden summen noch heute von jenem scharfen Pistolenknall der Schläge, den ein knappes Echo und Electras Zuruf wiederholten. Einer ihrer besten Schläge war ein kurzer Pickup, den ihr Ned Litam in Kalifornien beigebracht hatte.
    Theaterspielen war ihr lieber als Schwimmen, und Schwimmen lieber als Tennis; trotzdem bestehe ich darauf: Wäre nicht etwas in ihr durch mich gebrochen worden - nicht daß ich es damals gewußt hätte! -, so hätte sie außer ihrem vollendeten Stil auch den Willen zum Sieg gehabt und wäre schon als Mädchen ein richtiges Tennis-As geworden. Dolores mit zwei Rackets unter dem Arm in Wimbledon. Dolores macht Reklame für ein Dromedar. Dolores wird Profi. Dolores spielt in einem Film eine junge Weltklassespielerin. Dolores und ihr grauer, bescheidener, stummer Ehemann und Trainer, der alte Humbert.
    Ihre Spielweise war ohne Fehl und Trug - es sei denn, man hielte ihre fröhliche Gleichgültigkeit gegenüber seinem Ergebnis für die Finte eines Nymphchens. Sie, die im täglichen Leben so grausam und verschlagen sein konnte, legte beim Plazieren ihrer Bälle eine Unschuld, eine Offenheit, eine Gutmütigkeit an den Tag, die es einem zweitklassigen, aber entschlossenen Spieler, ganz gleich wie linkisch und unfähig, erlaubte, sich mit Ach und Krach zum Sieg durchzuwursteln. Trotz ihrer kleinen Statur beherrschte sie die achtundneunzig Quadratmeter ihrer Platzhälfte mit wunderbarer Leichtigkeit, sobald sie im Rhythmus des Schlagwechsels war und solange sie diesen Rhythmus selber bestimmen konnte; jeder plötzliche Angriff aber oder ein jäher Taktikwechsel des Gegners machten sie hilflos. Beim Matchball sauste ihr zweiter Aufschlag, der - typischerweise - noch kräftiger und stilvoller war als ihr erster (denn sie hatte die Hemmungen nicht, die vorsichtige Gewinner haben), surrend gegen die Harfensaite der Netzkante - und prallte schräg ins Aus. Die geschliffene Glasperle ihres Stoppballs wurde von einem Gegner re-turniert, der vierbeinig zu sein schien und ein krummes Paddel schwang. Ihre dramatischen Drives und herrlichen Flugbälle landeten arglos zu seinen Füßen. Immer und immer wieder schlug sie einen leichten Ball ins Netz - und mimte lustige Bestürzung, indem sie sich mit einer in die Stirn hängenden Locke in Ballettpose ermattet sinken ließ. So steril waren ihre Grazie und ihr Schlag, daß sie nicht einmal mich Keuchenden mit meinem alt-modisch hohen Drive besiegen konnte. Für den Zauber, der von Spielen ausgeht, muß ich wohl besonders empfänglich sein. Bei meinen Schachsitzungen mit Gaston sah ich das Brett als ein quadratisches Becken voll klaren Meerwassers mit seltenen Muscheln und Strategemen, die sich rosig von seinem glatten Mosaikboden abhoben, während mein verwirrter Gegner dort nichts sah als Schlamm und Sepiagewölk. In ähnlicher Weise sind mir die ersten

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