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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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an sich nur für einen  Berufspsychologen von Interesse sind), weil sonst der Leser (ach, könnte ich ihn mir doch als blondbärtigen Gelehrten vorstellen, der mit rosigen Lippen an der pomme de sa canne saugt, während er mein Manuskript verschlingt) nicht verstehen könnte, welchen Stoß es mir versetzte, als ich bemerkte, wie dem P die Tournüre eines B zugewachsen und die 6 völlig gelöscht war. Der mittlere Teil trug die Spuren eines eilig darüberhin gehuschten Bleistiftradiergummis; einige Teile und Zahlen waren verschmiert oder von kindlicher Hand neu hingeschrieben, so daß das ganze ein Stacheldrahtgewirr war, welches sich jeder logischen Deutung entzog. Nur den Staat wußte ich - er grenzte an den, in dem Beardsley lag.
    Ich sagte nichts. Ich legte den Block zurück, schloß das Fach und fuhr aus Wace hinaus. Lo hatte sich vom Hintersitz ein paar Comics gegrabscht, und einen braunen Ellbogen zum Fenster herausgesteckt, vertiefte sie sich mit im Winde flatternder weißer Bluse in das aktuelle Abenteuer irgendeines Deppen oder Clowns. Drei oder vier Meilen hinter Wace bog ich in den Schatten eines Picknickgeländes ein, wo der Morgen seinen Sonnenmüll auf einen leeren Tisch geschüttet hatte; Lo sah mit einem halben Lächeln der Überraschung auf, und wortlos versetzte ich ihr mit dem Handrücken eine wuchtige Ohrfeige, die klatschend ihren harten, heißen kleinen Backenknochen traf.
    Und dann die Reue, die schmerzliche Süße schluchzender Buße, die Speichelleckerei der Liebe, die Hoffnungslosigkeit der sinnlichen Versöhnung. Im samtenen Dunkel der Nacht, im Mirana-Motel (Mirana!) küßte ich die gelblichen Sohlen ihrer langzehigen Füße, ging ich bis zu den letzten Erniedrigungen und Opfern - aber es half alles nichts, Beide waren wir verdammt. Und bald sollte ich in einen neuen Zyklus der Verfolgung geraten.
    In einer Straße von Wace, in einem Außenbezirk... Doch, ich bin ganz sicher, daß es keine Täuschung war. In einer Straße von Wace hatte ich das aztekenrote Cabriolet oder seinen eineiigen Zwilling erblickt. Statt Trapp enthielt es vier oder fünf lärmende junge Leute mehreren Geschlechts - aber ich sagte nichts. Nach Wace entstand eine ganz neue Situation. Einen Tag oder zwei genoß ich das geistige Hochgefühl, mir einzureden, daß niemand uns folge und nie gefolgt sei; doch dann gelangte ich zu der beklemmenden Erkenntnis, daß Trapp seine Taktik geändert hatte und uns in diesem oder jenem Leihwagen hinterherfuhr.
    Ein wahrer Proteus der Landstraßen, wechselte er mit verblüffender Leichtigkeit von einem Gefährt zum anderen. Diese Taktik setzte das Vorhandensein von Garagen voraus, die auf «Etappenwagen» spezialisiert waren, abernie konnte ich herausfinden, welche Remisen er in Anspruch nahm. Zuerst schien er der Gattung Chevrolet zugeneigt, begann mit einem campusbeigen Cabrio, ging dann zu einer kleinen horizontblauen Limousine über und verblaßte schließlich zu Gischtgrau und Treibholzgrau. Danach wandte er sich anderen Marken zu und durchlief einen blassen, stumpfen Regenbogen von Farbtönen, und eines Tages ertappte ich mich dabei, wie ich den subtilen Unterschied zwischen unserem eigenen traumblauen Melmoth und seinem ge-mieteten gipfelblauen Oldsmobile zu bewältigen suchte; jedoch blieb Grau seine bevorzugte Tarnfarbe, und in meinen qualvollen Alpträumen versuchte ich vergeblich, Gespenster wie Chryslers Muschelgrau, Chevrolets Distelgrau, Dodges Parisgrau auseinanderzuhalten ...
    Daß ich ständig nach seinem kleinen Schnurrbart und offenen Hemd Ausschau halten mußte - oder nach seinem halbkahlen Schädel und seinen breiten Schultern -, nötigte mich zu einem gründlichen Studium aller Wagen auf der Straße - hinter uns, vor uns, neben uns, entgegenkommende, überholende -, sämtlicher Vehikel unter der spielenden Sonne: das Automobil des würdevollen Urlaubers mit der Schachtel Papiertaschentücher Marke «Zimperliese» im Rückfenster; die rücksichtslos rasende altersschwache Kiste voller blasser Kinder und mit einem verbeulten Kotflügel, aus der der Kopf eines zottigen Hundes ragt; die Kombi-Limousine des Junggesellen, vollgestopft mit Anzügen auf Bügeln; der riesige, fette Wohnwagen, der allen voran dahinschwankt, unempfindlich gegen die Schlange wutschnaubender Autos, die hinter ihm her kriechen; das Auto mit der jungen Beifahrerin, die höflich in die Mitte des Vordersitzes gerückt ist, um dem männlichen jungen Fahrer näher zu sein; der Wagen, der auf

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