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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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wie ich kämpfen würde! Besser alles zerstören als sie aufgeben. Ja, ziemlich steil, die Treppe.
    Am Empfangstisch überreichte mir ein würdevoller Mann mit Römernase und einer möglicherweise sehr dunklen Vergangenheit, in die hineinzuleuchten sich lohnen könnte, eine Nachricht in seiner eigenen Handschrift. Der Anrufer war also doch nicht mehr am Apparat. Auf dem Blatt stand:
    «Mr. Humbert. Die Schulleiterin aus Birdsley [sie!] hat angerufen. Sommerresidenz Birdsley 2-8282. Bitte gleich zurückrufen. Höchst wichtig.»
    Ich quetschte mich in eine Zelle, nahm eine kleine Pille und balgte mich ungefähr zwanzig Minuten lang mit Leitungsgespenstern herum. Nach und nach ließ sich ein Quartett von Auskünften vernehmen - Sopran: eine solche Nummer gibt es in Beardsley nicht; Alt: Miss Pratt ist unterwegs nach England; Tenor: die Beardsleyer Schule hat nicht angerufen; Baß: wie hätte sie auch anrufen können, da doch niemand wußte, daß ich an diesem Tage in Champion, Colorado, wäre. Mein an seiner empfindlichsten Stelle getroffener Römer erklärte sich liebenswürdigerweise bereit, nachzufragen, ob wirklich ein Ferngespräch durchgestellt worden sei. Es war keines gekommen. Möglicherweise ein fingierter Anruf aus dem Ort. Ich dankte ihm. Er sagte: Aber gerne. Nach einem Besuch in der rieselnden Herrentoilette und einem starken Drink an der Bar trat ich den Rückmarsch an. Von der allerersten Terrasse aus sah ich tief unten auf dem Tennisplatz, der so klein wie die schlecht abgewischte Schiefertafel eines Schulkindes wirkte, die goldene Lolita in einem Doppel spielen. Sie bewegte sich wie ein schöner Engel zwischen drei schrecklichen Krüppeln auf einem Bosch-Gemälde. Einer von ihnen, ihr Partner, klopfte ihr beim Seitenwechsel neckisch mit dem Schläger auf den Hintern. Er hatte einen auffallend runden Kopf und trug unpassenderweise braune Hosen. Es gab einen Augenblick der Verwirrung - er sah mich, warf seinen Schläger - meinen! - fort und setzte sich hastig hangaufwärts ab. Während er zur Straße hinaufkletterte, wo sein grauer Wagen ihn erwartete, ließ er Handgelenke und Ellenbogen in vermeintlich komischer Nachahmung rudimentärer Flügel flattern. Gleich darauf waren er und der graue Dunst fort. Als ich unten anlangte, sammelte das restliche Trio die Bälle ein und sortierte sie.
    «Mr. Mead, wer war der Mensch?»
    Bill und Fay sahen beide sehr feierlich drein und schüttelten die Köpfe.
    Irgend so ein alberner Flegel, der dazugestoßen war, um ein Doppel voll zu machen, nicht wahr, Dolly?
    Dolly. Der Griff meines Schlägers war noch widerlich warm. Bevor wir ins Hotel zurückkehrten, drängte ich sie in einen kleinen, von duftendem Gesträuch mit rauchblauen Blüten halbüberwucherten Pfad und war nahe daran, in haltloses Schluchzen auszubrechen und sie, die Verzauberte, Gleichgültige, aufs unterwürfigste anzuflehen, dieses qualvolle Grauen zu zerstreuen, das mich einhüllte, auch mit einer Lüge, als wir uns unversehens hinter der sich merkwürdig krümmenden Mead-Dyade fanden - so wie in den idyllischen Kulis-sen einer alten Komödie ein Paar auf das andere stößt. Bill und Fay wollten sich schlapp lachen - wir waren gerade gekommen, als ihr privater Spaß zu Ende ging. Es war einerlei.
    In einem Tonfall, als sei es tatsächlich einerlei, und offenbar in der Annahme, daß das Leben mit seinen routinemäßigen Vergnügungen automatisch weiterrolle, sagte Lolita, sie werde sich jetzt die Schwimmsachen anziehen und den Rest des Nachmittags am Swimmingpool verbringen. Es war ein herrlicher Tag. Lolita!

21
    «Lo! Lola! Lolita!» höre ich mich von der Schwelle aus ihren Namen in die Sonne rufen, und der Hall der Zeit, des Gewölbes der Zeit, befrachtete meinen Ruf und seine verräterische Heiserkeit mit einer solchen Fülle von Angst, Leidenschaft und Schmerz, daß er, wäre sie tot gewesen, den Reißverschluß ihres Nylontotenhemds aufgerissen hätte. Lolita! Mitten auf einer kurzgeschorenen Rasenterrasse fand ich sie endlich - sie war hinausgelaufen, ehe ich mit dem Umziehen fertig war. O Lolita! Da war sie und spielte mit einem verdammten Hund, nicht mit mir. Das Tier, eine Art Terrier, verlor einen roten, nassen, kleinen Gummiball, schnappte ihn wieder und hielt ihn zwischen den Zähnen; griff mit den Vorderpfoten schnelle Akkorde im elastischen Rasen und sprang davon. Ich hatte nur sehen wollen, wo sie war; schwimmen konnte ich bei dem Zustand meines Herzens nicht, aber wen kümmerte das

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