Lolita (German)
etwasJ/erhaßtes, zum Beispiel Buttermilch, rieche zerdrücktes Gras in einem üppigen Obstgarten oder berühre imaginäre Gegenstände mit ihren schlauen, schlanken Nymphchenhänden. Unter meinen Papieren befindet sich noch ein hektographiertes Blatt mit folgenden Anweisungen:
Taktiles Training. Sich vorstellen, daß man folgende Dinge aufhebt und in der Hand hält: einen Tischtennisball, einen Apfel, eine klebrige Dattel, einen neuen flanellweichen Tennisball, eine heiße Kartoffel, einen Eiswürfel, ein Kätzchen, einen jungen Hund, ein Hufeisen, eine Feder, eine Taschenlampe.
Die folgenden vorgestellten Dinge mit den Fingern kneten: ein Stück Brot, einen Radiergummi, die schmerzende Stirn einer Freundin, einen Streifen Samt, das Blütenblatt einer Rose.
Du bist blind. Betaste das Gesicht eines: griechischen Jünglings, Cyrano de Bergeracs, des Weihnachtsmannes, eines Babys, eines lachenden Fauns, eines schlafenden Fremdlings, deines Vaters.
Aber sie war doch so hübsch gewesen beim Weben dieser zarten Zauberschleier, bei der träumerischen Erfüllung ihrer zauberischen Verpflichtungen! An gewissen unternehmungslustigen Abenden in Beardsley brachte ich sie auch dazu, für mich zu tanzen, indem ich ihr eine Vergünstigung oder ein Geschenk versprach, und wenn ihre banalen Spreizsprünge auch weniger an die schmachtenden, ruckhaften Bewegungen einer Pariser Ballettratte erinnerten als an die nacktbeinigen Mädchen in kurzen Röcken und dicken Rollkragenpullis, die mit einstudiertem Geschrei und gymnastischem Wüten die Football-Mannschaft anspornen, so hatte mir doch der Rhythmus ihrer noch nicht ganz nubilen Glieder Vergnügen bereitet. Aber all das war nichts, gar nichts im Vergleich zu dem unbeschreiblichen Wonnekitzel, den ihr Tennisspiel in mir hervorrief - das aufreizende, berauschende Gefühl, am äußersten Rand überirdischer Ordnung und Herrlichkeit zu balancieren.
Trotz ihres vorgerückten Alters war sie mit ihren aprikosenfarbenen Gliedern, ihrem kindlichen Tennisdress mehr denn je ein Nymphchen! Meine geflügelten Herren! Kein Jenseits ist annehmbar, wenn es sie nicht genau so inkorporiert, wie sie damals war, in jenem Ferienort in Colorado zwischen Snow und Elphinstone, und alles muß bitte stimmen: die weiten, weißen Kleinjungenshorts, die schlanke Taille, die aprikosenfarbene Magengrube, das weiße Brusttuch, dessen Bänder aufstiegen, den Hals umschlangen und hinten in einem baumelnden Knoten endeten, so daß ihre atemraubend jungen, anbetungswürdigen Schulterblätter mit ihrem aprikosenfarbenen Flaum und den wunderschönen sanften Knochen und dem glatten, nach unten schmaler werdenden Rücken unverhüllt blieben. Ihre Mütze hatte einen weißen Schild. Ihr Schläger hatte mich ein kleines Vermögen gekostet. Idiot, dreifacher Idiot! Ich hätte sie filmen können! Dann hätte ich sie jetzt bei mir, vor meinen Augen, im Projektionsraum meiner Pein und Verzweiflung!
Bevor sie sich zum Aufschlag reckte, wartete sie ein paar Takte hinter der Kreidelinie, entspannte sich, ließ oft den Ball ein- oder zweimal aufspringen oder glättete den Boden ein wenig mit ihrem weißen Schühchen, immer locker, nie genau den Stand des Spiels verfolgend, immer gutgelaunt, wie sie es in dem dunklen Leben, das sie zu Hause führte, so selten war. Ihr Tennis war die Höchstleistung, zu der es ein junges Geschöpf in der Kunst der Vortäuschung bringen konnte, obgleich es für sie vermutlich die schiere Geometrie elementarer Wirklichkeit war.
Die ungemeine Klarheit all ihrer Bewegungen fand eine vernehmbare Entsprechung in dem reinen Klang jedes ihrer Schläge. Sobald der Ball in ihren Herrschaftsbereich drang, wurde er irgendwie weißer, sein Anprall irgendwie reicher, und das Präzisionsinstrument, mit dem sie ihn traktierte, schien im Augenblick des haftenden Kontaktes etwas ungewöhnlich Zupackendes und Absichtsvolles zu haben. Ihr Stil war in der Tat die absolut vollkommene Nachahmung von absolut erstklassigem Tennis - ohne utilitaristisches Resultat. Wie Edusas Schwester, Electra Gold, eine ausgezeichnete junge Trainerin, mir einmal sagte, als ich von einer harten Bank aus, die unter mir zu pulsieren begonnen hatte, zuschaute, wie Dolores Haze gleichsam im Spaß Linda Hall über den Platz jagte (und doch von ihr geschlagen wurde): «Dolly hat einen Magneten in der Mitte ihrer Racketdärme, aber warum zum Kuckuck ist sie so höflich?» Ach, Electra, was machte es schon, bei solcher Grazie! Als ich ihr das
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