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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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auch nicht eigentlich kranken Herzens allzu ausgiebig zuspräche. Das Krankenhaus in seiner Gesamtheit bat ich mit einer eleganten Verbeugung, bei der ich mich beinahe überschlug, um Entschuldigung, fügte indessen hinzu, ich stände mit der übrigen Hum-bert-Sippe nicht auf bestem Fuße. Mir selber flüsterte ich zu, daß ich noch immer meine Kanone und meine Freiheit hatte - die Freiheit, den Flüchtling aufzuspüren, die Freiheit, meinen Bruder zu vernichten.

23
    Etwa tausend Meilen seidenglatten Asphalts trennten Kasbeam, wo der rote Teufel nach meiner Überzeugung zum ersten Mal aufgetaucht war, von dem verhängnisvollen Elphinstone, wo wir ungefähr eine Woche vor dem Unabhängigkeitstag eingetroffen waren. Die Fahrt hatte den größten Teil des Monats Juni in Anspruch genommen, denn wir legten selten mehr als zweihundertundfünfzig Kilometer pro Reisetag zurück und verbrachten den Rest der Zeit, in einem Falle sogar fünf Tage, an verschiedenen Orten, die zweifellos alle vorher verabredet waren. Diese Strecke war es also, auf der die Spur des Teufels zu suchen war; und dieser Aufgabe widmete ich mich nach mehreren unbeschreiblichen Tagen des Hin- und Herrasens auf den endlos ausstrahlenden Straßen in der Umgebung von Elphinstone.
    Leser, stellen Sie sich vor: ich, mit meiner Schüchternheit, meinem Widerwillen gegen jede Großtuerei, meinem angeborenen Sinn für das comme ilfaut, stellen Sie sich vor, wie ich meinen rasenden Kummer unter der Maske eines zitternden, einschmeichelnden Lächelns verstecke und mit vorgetäuschter Beiläufigkeit einen Vorwand ersinne, um die Gästebücher der Motels durchblättern zu können. «Ach», sagte ich etwa, «ich bin fast sicher, daß ich hier einmal übernachtet habe ... Lassen Sie mich doch einmal die Eintragungen von Mitte Juni sehen ... nein, da habe ich mich offenbar geirrt... Was für ein komischer Name für einen Heimatort, Greater-Rhinefall. Vielen Dank.» Oder: «Ich hatte einen Kunden, der hier gewohnt hat... habe seine Adresse verlegt... darf ich mal...?» Und hin und wieder, besonders bei einem bestimmten düsteren Typ von Verwalter, wurde mir die persönliche Durchsicht der Bücher verweigert.
    Ich habe hier eine Notiz: Zwischen dem 5. Juli und dem 18. November, an dem ich für ein paar Tage nach Beardsley zurückkehrte, habe ich mich in 342 Hotels, Motels und Touristenunterkünften eingetragen, wenn auch bei weitem nicht in allen wirklich übernachtet. Diese Zahl umfaßt ein paar Eintragungen zwischen dem Kastanien-Motel und Beardsley, von denen eine mir einen Schatten des Teufels erbrachte (N. Petit, Larousse, III.); ich mußte meine Nachforschungen räumlich und zeitlich sorgsam verteilen, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen; und bei mindestens fünfzig Herbergen habe ich lediglich an der Rezeption nachgefragt - aber dieses Vorgehen führte zu nichts, und ich zog es vor, zunächst ein Fundament von Glaubwürdigkeit und Goodwill zu schaffen, indem ich als erstes für ein dann doch nicht in Anspruch genommenes Zimmer zahlte. Meine Aufstellung läßt erkennen, daß ich wenigstens zwanzig von den etwa dreihundert Büchern, die ich insgesamt einsah, einen Hinweis entnahm: Der streunende Teufel hatte sogar öfter haltgemacht als wir, oder aber - es war ihm durchaus zuzutrauen- er hatte einige zusätzliche Eintragungen vorgenommen, um mich reichlich mit höhnischen Tips zu versorgen. Nur in einem Fall hatte er wirklich im selben Motel gewohnt wie wir, ein paar Schritt von Lolitas Kopfkissen entfernt. Manchmal hatte er im gleichen oder einem benachbarten Häuserblock Quartier bezogen; nicht selten hatte er an einer Stelle zwischen zwei verabredeten Punkten auf der Lauer gelegen. Deutlich sah ich Lolita vor mir, wie sie kurz vor unserer Abreise aus Beardsley bäuchlings auf dem Wohnzimmerteppich lag, Reiseführer und Straßenkarten studierte und die Strecken und Stationen mit ihrem Lippenstift einzeichnete. 
    Ich entdeckte sofort, daß er meine Nachforschungen vorausgesehen und beleidigende Pseudonyme und Wortspiele eingeschmuggelt hatte, die mir zugedacht waren. Gleich bei der ersten Motelrezeption, die ich aufsuchte, der Ponderosa Lodge, fand ich unter einem Dutzend anderer, offenbar menschlicher Namen: Dr. Gratiano Forbeson, Mirandola, N. Y. Eine solche Anspielung auf die Figuren der italienischen Stegreifkomödie mußte mir natürlich auffallen. Die Verwalterin geruhte mir mitzuteilen, daß der Herr fünf Tage lang mit einer schlimmen

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