Lolita (German)
Reverend Rigor Mortis (wie ihn die Mädchen nannten) und einem alten Herrn, der die Wahlfächer Deutsch und Latein unterrichtete, gab es keine festangestellten männlichen Lehrer an der Mädchenschule von Beardsley. Zweimal aber war ein Kunstdozent vom Beardsley-College gekommen, um den Schülerinnen Lichtbildvorträge über französische Schlösser und die Malerei des neunzehnten Jahrhunderts zu halten. Ich hätte diesen Vorträgen gern beigewohnt, aber Dolly hatte mich wie gewöhnlich gebeten, es nicht zu tun, basta. Ich entsann mich auch, daß Gaston den Dozenten einen brillanten gargon genannt hatte; aber das war auch schon alles; mein Gedächtnis weigerte sich, mir den Namen des Schlösserliebhabers preiszugeben.
An dem für die Hinrichtung festgesetzten Tag ging ich durch den Graupelregen über das Universitätsgelände zum Auskunftsbüro in der Maker Hall, Beards-ley-College. Dort erfuhr ich, daß der Kerl Riggs heiße (sein Name also ein wenig an den des Geistlichen erinnerte), daß er Junggeselle sei und daß er in zehn Minuten aus dem «Museum» herauskommen werde, wo er gerade eine Vorlesung halte. In dem Gang, der zu dem Hörsaal führte, setzte ich mich auf eine Art Marmorbank, die von einer gewissen Cecilia Dalrymple Ramble gestiftet war. Während ich dort mit einem unbehaglichen Gefühl in der Prostata wartete, angesäuselt, übermüdet, die Pistole in der Faust in der Regenmanteltasche, ging mir plötzlich auf, daß ich wahnsinnig geworden war und im Begriff stand, etwas Idiotisches zu tun. Die Chance, daß der Assistenzprofessor Albert Riggs meine Lolita in seinem Beardsleyer Haus, 24 Pritchard Road, versteckt hielt, stand eins zu einer Million. Er konnte der Schuft nicht sein. Es war absoluter Unsinn. Ich verlor meine Zeit und meinen Verstand. Er und sie waren in Kalifornien und bestimmt nicht hier.
Dann bemerkte ich hinter ein paar weißen Statuen eine unbestimmte Bewegung; eine Tür - nicht die, auf die ich gestarrt hatte - wurde rasch geöffnet, und inmitten eines Schwarms von Studentinnen wippte mir ein spärlich behaarter Kopf mit zwei glänzenden braunen Augen entgegen.
Er war mir völlig fremd, bestand aber darauf, wir hätten uns bei einer Gartenparty der Schule von Beardsley kennengelernt. Wie es meiner entzückenden, tennisspielenden Tochter gehe? Er müsse gleich noch eine Stunde geben. Wir würden uns ja sicher noch sehen.
Ein zweiter Identifizierungsversuch kam weniger schnell zu einem Ende: Durch eine Annonce in einer von Los Zeitschriften setzte ich mich verwegenerweise mit einem Privatdetektiv in Verbindung, einem ehemaligen Boxer, und um ihm eine Vorstellung von der Methodik des Teufels zu geben, schickte ich ihm eine Liste jener Namen und Adressen, die ich gesammelt hatte. Er verlangte einen gehörigen Vorschuß, und dann brachte der Trottel zwei Jahre - Leser, zwei ganze Jahre! - damit zu, diese unsinnigen Angaben nachzuprüfen. Ich hatte längst alle finanziellen Beziehungen zu ihm abgebrochen, als er eines Tages mit der triumphierenden Meldung auftauchte, in der Nähe von Dolores, Colorado, lebe tatsächlich ein achtzigjähriger Indianer namens Bill Brown.
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Dieses Buch handelt von Lolita; und nun, da ich zu jenem Abschnitt komme, welcher (wäre mir nicht ein anderer Dulder, ebenfalls Opfer innerer Verbrennung, zuvorgekommen) den Titel Dolores Disparue tragen könnte, hat es wenig Sinn, die drei folgenden leeren Jahre zu analysieren. Obwohl einige relevante Einzelheiten mitgeteilt werden müssen, ist doch der Gesamteindruck, den ich zu vermitteln wünsche, der einer Seitentür, die im vollen Flug des Lebens aufkracht und einem Ansturm heulender schwarzer Ewigkeit erlaubt, mit ihrem peitschenden Wind den Schrei einsamen Verderbens zu überdröhnen.
Sonderbar genug, ich träumte selten, wenn überhaupt je von Lolita, so wie ich sie in Erinnerung hatte -so wie ich sie dauernd und zwanghaft während meiner Tagmahre und Schlaflosigkeiten im Bewußtsein trug, Genauer gesagt: Sie spukte durch meinen Schlaf, aber sie erschien dort in merkwürdigen, unheimlichen Verkleidungen als Valeria oder Charlotte oder eine Kreuzung beider, Schicht um Schicht abstreifend, kam dieses hybride Gespenst in einer Atmosphäre tiefer Melancholie und großen Abscheus zu mir und legte sich in schaler einladender Haltung rücklings auf ein schmales Brett oder ein hartes Sofa - das Fleisch klaffend wie das Ventil der Gummiblase eines Fußballs. Ich selber befand mich - das künstliche Gebiß zerbrochen
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