Lolita (German)
einundzwanzigsten Jahrhunderts gelesen, nehme ich an (1935 plus achtzig oder neunzig; leb lange, meine Liebste); und ältere Leser werden an dieser Stelle sicherlich an die unvermeidliche Szene in den Wildwestfilmen ihrer Kindheit denken, Unseren Handgreiflichkeiten gingen jedoch die Fausthiebe ab, die einen Ochsen niederschmettern können, es flogen auch keine Möbel. Er und ich waren zwei große, mit schmutziger Watte und Lumpen ausgestopfte Puppen. Es war die stille, weiche, formlose Balgerei zweier Literaten, von denen der eine vom Rauschgift total zerrüttet war und der andere gehandicapt durch ein nervöses Herz und zuviel Gin. Als ich schließlich wieder im Besitz meiner kostbaren Waffe war und den Drehbuchautor in seinem niedrigen Sessel untergebracht hatte, keuchten wir beide so, wie es der König der Kühe und der Schah der Schafe nach ihrem Kampf niemals tun.
Ich beschloß, die Pistole zu untersuchen - unser Schweiß konnte etwas verdorben haben - und Atem zu schöpfen, ehe ich mich an die Hauptnummer des Programms machte. Um die Pause auszufüllen, schlug ich vor, daß er sein eigenes Todesurteil verlese - in der poetischen Fassung, die ich ihm gegeben hatte. Der Ausdruck «poetische Gerechtigkeit» paßt in diesem Zusammenhang wohl besonders gut. Ich reichte ihm ein sauber getipptes Blatt.
«Gern», sagte er, «glänzende Idee. Ich hole meine Lesebrille.» (Er wollte sich erheben.)
«Nein.»
«Wie Sie wünschen. Soll ich laut lesen?»
«Ja.»
«Also los. Ich sehe, es sind Verse:
Dieweil du Vorteil zogst aus einem Sünder dieweil du Vorteil zogst dieweil du zogst
dieweil du Vorteil zogst aus meinem Nachteil,..
«Das ist gut, wissen Sie, Verdammt gut sogar,»
... als ich dastand wie Adam nackt
vordem Gesetz des Bunds und seinen Stachelsternen ,.,
«Großartiges Zeug!»
... Dieweil du Vorteil zogst aus einer Sünde
als ich mich hilflos häutete und feucht und anfechtbar
das beste hoffte
von Heirat träumt'' in einem Staat des Felsgebirgs oja von einem ganzen Wutf Lolitas...
«Hab ich nicht ganz mitgekriegt.»
Dieweil du Vorteil zogst aus meiner letztlichen tiefinnern Unschuld dieweil du mich betrogst...
«Bißchen monoton, was? Wo war ich stehengeblieben?»
Dieweil du mich betrogst um meine Buße dieweil du nahmst
sie nahmst in einem Alter in dem Knaben mit dem Erektorapparat handfertig spielen
«Aha, jetzt wird's schlüpfrig, wie?»
Ein Kind im Flaum noch mit dem Kranz aus Mohnblumen im Haar
noch aß sie Popcorn in dem Farbenschummer wo sich die Rothaut bückt von ihrem Pferd hinab zu der ihr hingeworfnen Münze dieweil du stahlst
sie ihrem würdigen Beschützer mit der Wachsstirn stahlst
du in sein Auge mit den schweren Lidern spiest
die safrangelbe Toga ihm zerfetztest und im Morgengrauen
das Schwein sich wälzen ließest in seines Grames Suhle
in all den Schrecknissen der Liebe und der Veilchen
Reue Verzweiflung während du
eine dir fade Puppe auseinandernahmst
und ihren Kopf warfst du beiseite
für alles was du tatst
für alles was ich nicht tat
mußt du nun sterben.
«Wahrhaftig, mein Bester, ein ganz ausgezeichnetes Gedicht. Ihr bestes, was mich betrifft.»
Er faltete das Blatt und reichte es mir zurück. Ich fragte ihn, ob er vor seinem Tode noch etwas Ernsthaftes vorzubringen habe. Die Pistole war wieder bereit zum Gebrauch am Mann. Er sah zu ihr hin und stieß einen tiefen Seufzer aus.
«Nun hören Sie mal zu, Chef», sagte er. «Sie sind betrunken, und ich bin ein kranker Mann. Wir wollen die Sache verschieben. Ich brauche Ruhe. Ich muß meine Impotenz pflegen. Am Nachmittag kommen Freunde und holen mich zu einem großen Spiel ab. Diese Pistolenposse nervt einen ja schrecklich. Wir sind doch in allem Leute von Welt - Sex, freie Rhythmen, Schießsport. Wenn Sie mir etwas vorzuwerfen haben, bin ich zu ungewöhnlicher Wiedergutmachung bereit. Sogar ein altmodisches rencontre, Degen oder Pistole, in Rio oder sonstwo, ist nicht ausgeschlossen. Mein Gedächtnis und meine Beredsamkeit sind heute nicht auf der Höhe, aber wirklich, mein lieber Mr. Humbert, ein idealer Stiefvater waren Sie nicht, und ich habe Ihre kleine Schutzbefohlene nicht gezwungen, zu mir zu kommen. Sie selber hat mich gebeten, sie in ein glücklicheres Heim zu bringen. Dies Haus hier ist nicht so modern wie die Ranch, die wir mit lieben Freunden teilten. Aber es ist geräumig, kühl im Sommer und im Winter, mit einem Wort komfortabel; und da ich vorhabe, mich für immer nach England oder Florenz
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