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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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waren und sich an Quiltys Schnäpsen gütlich taten. Ein dicker Mann rekelte sich in einem Clubsessel. Zwei dunkelhaarige, blasse junge Schönheiten, zweifellos Schwestern, eine groß und eine klein (fast noch ein Kind), saßen sittsam nebeneinander auf einer Couch. Ein rotwangiger junger Mann mit saphirblauen Augen brachte gerade zwei volle Gläser aus der Küchenbar, wo zwei oder drei Frauen miteinander schwatzten und mit den Eiswürfeln klirrten. Ich blieb in der Tür stehen und sagte: «Ich habe eben Cläre Quilty umgebracht.» - «Gratuliere», sagte der rotwangige Bursche, während er dem älteren Mädchen eines der Gläser reichte. «Das hätte längst jemand tun sollen», bemerkte der Dicke. «Was sagt er, Tony?» fragte eine verwelkte Blonde von der Bar her. «Er sagt, er hat Q umgebracht», antwortete der Rotwangige. «Na», sagte ein anderer, nicht identifizierter Mann und erhob sich aus einer Ecke, wo er gehockt hatte, um in den Platten zu kramen, «ich denke, wir sollten ihm das eines Tages alle besorgen.» - «Jedenfalls sollte er jetzt gefälligst runterkommen», sagte Tony. «Wir können nicht mehr lange auf ihn warten, wenn wir noch zu diesem Spiel wollen.» - «Geb doch jemand diesem Mann was zu trinken», sagte der Dicke. «Wollen Sie ein Bier?» fragte eine Frau in Hosen und zeigte es mir von weitem.
    Nur die beiden Mädchen auf der Couch - beide waren in Schwarz, und die jüngere spielte mit einem glänzenden Medaillon um ihren weißen Hals - nur sie sagten nichts, sondern lächelten weiter, so jung, so lüstern. Als die Musik für einen Augenblick aussetzte, war auf der Treppe plötzlich ein gedämpftes Geräusch zu hören. Tony und ich gingen in die Diele, Es war Quilty und kein anderer, dem es gelungen war, auf den Treppenabsatz hinauszukriechen; wir konnten sehen, wie er dort mit den Flügeln schlug und sich keuchend hob und senkte und dann, diesmal für immer, zu einem violetten Haufen zusammensackte.
    «Beeil dich, Q», sagte Tony und lachte. «Ich glaube, er ist immer noch...» Er ging in den Salon zurück, Musik übertönte den Rest des Satzes.
    Dies, sagte ich mir, war das Ende des Stückes, das Quilty für mich inszeniert hatte. Schweren Herzens verließ ich das Haus und ging durch den gefleckten Sonnenschein zu meinem Wagen. Zwei andere Wagen parkten rechts und links neben ihm, und ich hatte einige Mühe, mich herauszuzwängen.

36
    Der Rest wirkt ein wenig flach und verblaßt. Langsam fuhr ich bergab, und bald stellte ich fest, daß ich noch immer im gleichen trägen Tempo auf einer Straße fuhr, die von Parkington wegführte. Den Regenmantel hatte ich im Boudoir gelassen und den Kumpel im Badezimmer. Nein, das war kein Haus, in dem ich gern gewohnt hätte. Ich stellte mir die müßige Frage, ob nicht ein genialer Chirurg seine eigene Laufbahn und vielleicht das Geschick der gesamten Menschheit ändern könne, indem er Quilty das Quilt, Cläre Obscure, wiederbelebte. Nicht, daß es mich interessierte; ich wünschte vielmehr, die ganze Schweinerei zu vergessen - und als ich erfuhr, daß er tatsächlich tot war, war meine einzige Befriedigung die Erleichterung, zu wissen, daß ich nicht monatelang eine schmerzhafte und widerwärtige Rekonvaleszenz in Gedanken zu verfolgen brauchte, unterbrochen von allen Arten unsäglicher Operationen und Rückfälle und vielleicht sogar gekrönt von seinem Besuch bei mir, in dessen Verlauf ich Mühe gehabt hätte, mir rational zu erklären, daß ich es nicht mit einem Gespenst zu tun hatte. Thomas war gar nicht so dumm. Es ist merkwürdig, daß der Tastsinn, der dem Menschen so unendlich viel weniger kostbar ist als das Gesicht, in kritischen Momenten zur hauptsächlichen, wenn nicht einzigen Verbindung zur Wirklichkeit wird. Ich war über und über von Quilty bedeckt - vom Gefühl des Kampfes vor dem Blutvergießen.
    Die Straße zog sich jetzt durch freies Feld, und mir fiel ein - weder als Protest noch als Symbol oder etwas Derartiges, sondern einfach als neue Erfahrung-, daß ich nun, da ich alle menschlichen Gesetze gebrochen hatte, auch noch die Verkehrsregeln übertreten konnte. Ich lenkte also zur linken Seite der Autostraße hinüber, achtete darauf, wie mir dabei zumute war, und mir war gut zumute. Es war eine angenehme Lockerung in der Herzgrube, versetzt mit Elementen eines diffusen Tastempfindens und gesteigert durch den Gedanken, daß nichts einer Auslöschung der physikalischen Grundgesetze näher komme, als absichtlich auf der falschen

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