Lolita (German)
Wahrheit nicht um Kupfervorkommen auf der Victoria-Insel oder derartiges; denn der eigentliche Zweck war - pst, streng geheim, und darum will ich nur soviel hinzufügen: Was immer auch das Ziel gewesen sein mag, es wurde ganz und gar erreicht.
Der Leser wird mit Bedauern erfahren, daß ich bald nach meiner Rückkehr in die Zivilisation einen neuen Anfall von geistiger Verwirrung hatte (wenn man diese grausame Bezeichnung für Schwermut und ein Gefühl unerträglicher Bedrücktheit anwenden kann). Ich verdanke meine völlige Wiederherstellung einer Entdeckung, die ich während meiner Behandlung in jenem sehr kostspieligen Spezialsanatorium machte. Ich entdeckte nämlich, daß eine unerschöpfliche Quelle gesunder Freuden das Hänseln der Psychiater ist: sie geschickt irrezuführen; sich nie anmerken zu lassen, daß man alle ihre professionellen Tricks kennt; komplizierte Träume - Klassiker ihrer Gattung - für sie zu erfinden (die ihnen, den Traumerpressern, Träume verursachen und sie schreiend auffahren lassen); sie mit vorgeschwindelten «Urszenen» zu necken; und ihnen nie auch nur den leisesten Einblick in seine wahre sexuelle Not zu erlauben. Durch Bestechung bewog ich eine der Krankenschwestern, mir ein paar Krankenakten zugänglich zu machen, und voller Schadenfreude stieß ich auf Karteikarten, die mich als «potentiell homosexuell» und «total impotent» bezeichneten. Der Spaß war so köstlich, seine Ergebnisse - in meinem Falle -so erfrischend, daß ich nach meiner völligen Genesung (ich schlief wunderbar und aß wie ein Schulmädchen) noch einen ganzen Monat dablieb. Und dann legte ich noch eine Woche zu, nur um des Vergnügens willen, es mit einem einflußreichen Neuankömmling aufzunehmen, einem vertriebenen (und gewiß verrückten) Großkopferten, bekannt für seine Fähigkeit, den Patienten weiszumachen, sie seien Zeuge ihrer eigenen Empfängnis gewesen.
10
Nachdem ich das Sanatorium geräumt hatte, sah ich mich nach einem Ort auf dem Lande oder einer schläfrigen kleinen Stadt (Ulmen, weiße Kirche) in Neu-England um, wo ich auf der soliden Basis eines dicken Packens angesammelter Notizen einen arbeitsamen Sommer verbringen und in einem nahe gelegenen See baden könnte. Meine Arbeit hatte wieder angefangen, mich zu interessieren - ich meine meine literarischen Bemühungen; die andere Sache, meine aktive Teil-nähme an den postumen Parfüms meines Onkels, war inzwischen auf ein Minimum reduziert.
Einer seiner früheren Angestellten, Sproß eines ehrwürdigen Geschlechts, schlug mir vor, ein paar Monate im Hause seines verarmten Vetters zuzubringen, eines pensionierten Mr. McCoo und seiner Frau, die ihre obere Etage vermieten wollten, wo eine alte Tante bis zu ihrem Tode standesgemäß residiert hatte. Er sagte, sie hätten zwei Töchterchen - die eine ein Baby, die andere zwölfjährig - und einen schönen Garten, nicht weit von einem schönen See, und ich sagte, all das verheiße einen vollkommen vollkommenen Sommer.
Ich wechselte Briefe mit den Leuten, überzeugte sie, daß ich stubenrein war, und verbrachte eine phantastische Nacht im Zug, indem ich mir in allen Einzelheiten das rätselhafte Nymphchen vorstellte, dem ich französische Lektionen und humbertische Liebkosungen an-gedeihen lassen würde. Niemand holte mich an dem Spielzeugbahnhof ab, wo ich mit einem neuen teuren Handkoffer ausstieg, und niemand meldete sich am Telephon - schließlich aber erschien ein niedergeschlagener und durchweichter McCoo im einzigen Hotel des grün-rosafarbenen Ramsdale mit der Meldung, sein Haus sei soeben abgebrannt - möglicherweise infolge der Feuersbrunst, die die ganze Nacht hindurch in meinen Adern gewütet hatte. Er sagte, seine Familie sei auf eine Farm geflüchtet, deren Eigentümer er sei, und habe das Auto mitgenommen, aber eine Freundin seiner Frau, eine großartige Person, Mrs. Haze in der Lawn Street Nummer 342, mache sich erbötig, mich bei sich aufzunehmen. Die alte Dame, die gegenüber von Mrs. Haze wohnte, hatte McCoo ihre Limousine geliehen, einen herrlich altmodischen kastenförmigen Koloß, der mit einem vergnügten Neger bemannt war. Nun, da der einzige Anlaß für mein Kommen entschwunden war, erschien mir der Vorschlag, mich anderswo unterzubringen, vollkommen unsinnig. Gut, sein Haus mußte von Grund auf neu gebaut werden, na wenn schon! War er nicht hoch genug versichert? Ich war ärgerlich, enttäuscht und verdrossen, konnte mich aber als wohlerzogener Europäer nicht weigern,
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