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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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in dem Leichenwagen zur Lawn Street abtransportiert zu werden; ich ahnte, daß Mr. McCoo sonst einen noch komplizierteren Weg fände, mich loszuwerden. Ich sah ihn unruhig davontrippeln, und mein Chauffeur schüttelte mit einem leisen Glucksen den Kopf. Unterwegs schwor ich mir, unter gar keinen Umständen auch nur im Traum daran zu denken, in Ramsdale zu bleiben, sondern noch am selben Tag auf die Bermudas oder die Bahamas oder die Dreiteufelsinseln zu fliegen, Süße Strandphantasien in Technicolor waren mir schon seit einiger Zeit über den Rücken gelaufen, und McCoos Vetter hatte durch seinen gutgemeinten, aber wie sich jetzt herausstellte absolut hirnrissigen Vorschlag diese Gedankengänge scharf abgebogen.
    Da gerade von scharfen Kurven die Rede ist: Als wir in die Lawn Street einschwenkten, hätten wir fast einen zudringlichen Vororthund überfahren (einen von denen, die den Autos auflauern). Gleich daraufkam das Hazesche Haus in Sicht, ein mit weißen Brettern verschaltes Ungetüm, alt und schmutzig, mehr grau als weiß - die Art Behausung, in der man anstatt der Dusche mit Sicherheit einen am Badewannenhahn befestigten Gummischlauch vorfindet. Ich gab dem Chauffeur ein Trinkgeld und hoffte, er werde sofort abbrummen, damit ich unbemerkt einen Haken zurück in mein Hotel und zu meinem Gepäck schlagen könne; aber der Kerl ging lediglich zur anderen Straßenseite hinüber, wo eine alte Dame ihn von ihrer Veranda aus anrief. Was konnte ich tun? Ich drückte auf den Klingelknopf.
    Ein farbiges Dienstmädchen öffnete, ließ mich auf der Matte stehen und stürzte in die Küche zurück, wo etwas brannte, was nicht brennen sollte.
    Die Diele zierte ein Türglockenspiel, ein weißäugiges hölzernes Dingsbums - Serienware mexikanischen Ursprungs - sowie das banale Schoßkind des kunstliebenden Mittelstandes, van Goghs Arlesienne, Eine halboffene Tür rechts erlaubte einen Blick in ein Wohnzimmer mit noch mehr mexikanischem Kitsch in einer Eckvitrine und einem gestreiften Sofa an der Wand. Am Ende der Diele führte eine Treppe hinauf, und als ich dastand und mir die feuchte Stirn abtupfte (erst jetzt wurde mir klar, wie heiß es draußen gewesen war) und, um irgend etwas ins Auge zu fassen, einen alten grauen Tennisball anstarrte, der auf einer Eichentruhe lag, ertönte vom oberen Treppenabsatz her die Altstimme von Mrs. Haze, die sich über das Geländer beugte und melodisch fragte: «Ist das Monsieur Humbert?» Ein bißchen Zigarettenasche fiel als Zugabe mit herunter. Gleich darauf kam die Dame selber - Reihenfolge: Sandalen, dunkelrote Slacks, gelbe Seidenbluse, breites Gesicht - die Stufen herunter, und ihr Zeigefinger tippte noch immer gegen die Zigarette.
    Ich denke, ich beschreibe sie lieber gleich, um es hinter mich zu bringen. Die arme Person war etwa Mitte Dreißig und hatte eine glänzende Stirn, ausgezupfte Augenbrauen und recht simple, aber nicht reizlose Züge eines Typus, den man als einen dünnen Aufguß von Marlene Dietrich bezeichnen könnte. Sie strich über ihren bronzebraunen Haarknoten, führte mich in das Wohnzimmer, und wir sprachen ein Weilchen über den Brand bei McCoo und den Vorzug, in Ramsdale zu leben. Ihre weit auseinanderliegenden, meergrünen Augen hatten eine sonderbare Art, einen von oben bis unten zu mustern und dabei den Blick des Gesprächspartners sorgfältig zu vermeiden. Ihr Lächeln bestand in einem fragenden Hochziehen einer Augenbraue; beim Sprechen entringelte sie sich gleichsam immer wieder aus dem Sofa und machte spastische Ausfälle auf drei Aschbecher und auf das Kamingitter (vor dem das braune Kerngehäuse eines Apfels lag); woraufhin sie wieder zurücksank und ein Bein unter sich zog. Sie war offenbar eine jener Frauen, deren gewählte Sprache ihren Buchclub oder Bridgeclub oder eine andere todlangweilige konventionelle Einrichtung reflektiert, niemals aber ihre Seele; Frauen ohne eine Spur von Humor; Frauen, denen das Dutzend in Frage kommender Themen eines Salongeplauders zwar von Herzen egal ist, die aber peinlich auf die Spielregeln solcher Konversationen achten, durch deren sonnige Zellophanverpackung man leicht wenig appetitliche Frustrationen erkennen kann. Es war mir durchaus klar, daß sie, wenn ich infolge unwahrscheinlicher Umstände doch ihr Mieter würde, systematisch vorzugehen beabsichtigte, um das aus mir zu machen, was sie wahrscheinlich von vornherein unter einem «Mieter» verstand, und ich wäre wieder einmal in eine dieser langweiligen

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