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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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Affairen verwickelt, die mir nur allzu gut bekannt waren.
    Aber es kam gar nicht in Frage, daß ich mich hier niederließ. In einem Haushalt dieser Art mit zerfledderten Illustrierten auf jedem Stuhl und einer grauenvollen Kreuzung zwischen der Komödie sogenannter moderner Zweckformmöbel und der Tragödie altersschwacher Schaukelstühle und wackliger Lampentischchen mit defekten Glühbirnen könnte ich mich nie wohlfühlen. Ich wurde nach oben geführt und dann nach links - in «mein» Zimmer. Ich sah es mir durch den Nebel meiner entschlossenen Ablehnung an, erkannte aber über «meinem» Bett René Prinets Kreutzer-Sonate. Und sie nannte dies Dienstmädchenzimmer ein «Semi-Studio»! Sofort weggehen, sagte ich mir energisch und tat, als müsse ich über den lächerlich und verdächtig niedrigen Preis nachdenken, den meine verlangende Wirtin für volle Pension forderte.
    Europäische Höflichkeit zwang mich indessen, mich der Strapaze weiter zu unterziehen. Wir gingen über den Gang zur rechten Seite des Hauses (wo «ich und Lo unsere Zimmer haben» — wobei Lo vermutlich das Dienstmädchen war), und der Mieter-Liebhaber vermochte kaum ein Schaudern zu verbergen, als ihm, einem sehr anspruchsvollen Mann, ein Vorgeschmack der Herrlichkeit des einzigen Badezimmers beschieden wurde, eines winzigen Rechtecks zwischen dem Treppenabsatz und «Los» Zimmer, mit schlaffem nassem Zeug über der zweifelhaften Wanne (das Fragezeichen eines Haares darin); und richtig, da war das erwartete Knäuel der Gummischlange und sein Gegenstück - ein rosaroter Uberzug, der keusch den Toilettendeckel verhüllte.
    «Ich sehe, Sie haben keinen besonders günstigen Eindruck», sagte die Dame und ließ ihre Hand einen Augenblick auf meinem Ärmel ruhen; sie verband eine kühle Keckheit - einen Überschuß dessen, was man, glaube ich, «stille Anmut» nennt - mit einer Schüchternheit und Traurigkeit, die dazu führten, daß ihre ungezwungene Redeweise so unnatürlich klang wie der Tonfall eines Phonetiklehrers. «Dies ist kein gepflegter Haushalt, ich gebe es zu», fuhr die abgeurteilte Gute fort, «aber ich versichere Ihnen [sie sah auf meinen Mund], daß Sie sich hier wohl fühlen werden, wirklich, sehr wohl. Und jetzt zeige ich Ihnen den Garten» [das letztere fröhlicher, mit einem gewinnenden Aufschwung der Stimme].
    Ich folgte ihr widerstrebend die Treppe hinunter; dann durch die Küche am Ende der Diele, auf der rechten Seite des Hauses - der Seite, auf der auch Eß- und Wohnzimmer lagen (unter «meinem» Zimmer, links, lag nur die Garage). In der Küche sagte das Dienstmädchen, eine dickliche, jüngere Negerin: «Ich gehe jetzt, Mrs. Haze», und nahm ihre große schwarzglänzende Tasche vom Knauf der Tür, die zur hinteren Veranda führte. «Gut, Louise», antwortete Mrs. Haze mit einem Seufzer. «Ich rechne am Freitag mit Ihnen ab.» Wir kamen durch einen engen Anrichteraum in das Eßzimmer, welches parallel zum Wohnzimmer verlief, dessen Bewunderung wir schon hinter uns hatten. Ich sah eine weiße Socke am Boden liegen. Mit einem mißbilligenden Grunzen bückte sich Mrs. Haze, ohne stehenzubleiben, und schleuderte sie in einen Wandschrank neben der Anrichte. Wir warfen einen flüchtigen Blick auf einen Mahagonitisch mit einer Fruchtschale in der Mitte, die nichts als einen einzelnen, noch glitzernden Pflaumenkern enthielt. Ich tastete nach dem Kursbuch, das ich in der Tasche hatte, und angelte es verstohlen heraus, um so schnell wie möglich nach dem nächsten Zug zu sehen. Ich ging noch immer hinter Mrs. Haze her durch das Eßzimmer, als es plötzlich grün um uns her wurde. «Die Piazza», sang meine Geleiterin, und ohne die geringste Warnung schwoll eine blaue Meereswelle unter meinem Herzen, und auf einer Binsenmatte in einem Sonnenteich kniete halbnackt meine Riviera-liebe, drehte sich auf den Knien zu mir her und sah mich über dunkle Brillengläser forschend an.
    Es war das gleiche Kind - die gleichen zerbrechlichen, honigfarbenen Schultern, der gleiche seidige, geschmeidige nackte Rücken, der gleiche kastanienbraune Haarschopf. Ein gepunktetes schwarzes Tuch, um ihren Oberkörper geknotet, verbarg meinen alternden Gorillaaugen, nicht aber den Blicken junger Erinnerung die jugendlichen Brüste, die ich eines unsterblichen Tages liebkost hatte. Und als wäre ich die Märchenamme einer kleinen Prinzessin (verlaufen, geraubt, wiedergefunden, in Zigeunerlumpen, durch die ihre Nacktheit den König und seine Meute anlächelt),

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