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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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Buch zu verbringen - oder wenigstens so zu tun, als ob ich arbeitete.
    Das «Studio-Bett» in meinem früheren Zimmer war längst wieder zu dem Sofa geworden, das es seinem Wesen nach immer gewesen war, und Charlotte hatte mich gleich zu Beginn unseres Zusammenwohnens gewarnt, daß sie das Zimmer nach und nach in ein regelrechtes «Schriftstellerkabinett» verwandeln würde. Ein paar Tage nach dem Unternehmen Großbritannien saß ich in einem neuen und sehr bequemen Clubsessel mit einem großen Buch auf dem Schoß, als Charlotte mit beringtem Finger an die Tür klopfte und hereingeschlendert kam. Wie anders waren ihre Bewegungen als die meiner Lolita, wenn sie in ihren geliebten schmutzigen Blue-jeans, nach Nymphchenlands Obstgärten riechend, zu mir hereinschaute: verlegen und koboldig, und ein we-nig verderbt, die unteren Knöpfe ihres Knabenhemds nicht geschlossen. Ich muß Ihnen aber doch eines sagen. Hinter dem Ungestüm von Klein-Haze und der Gewichtigkeit von Groß-Haze rieselte ein Bächlein scheuen Lebens, das den gleichen Geschmack hatte, das auf die gleiche Weise murmelte. Ein bedeutender französischer Arzt hat meinem Vater einmal gesagt, daß bei nahen Verwandten das geringste Magenknurren den gleichen musikalischen Ton habe.
    Charlotte kam also hereingeschlendert. Sie hatte das Gefühl, daß zwischen uns nicht alles zum Besten stand. Ich hatte gestern abend so getan, als schlafe ich ein, sobald wir zu Bett gegangen waren, und den Abend davor auch, und war in aller Herrgottsfrühe aufgestanden. Zartfühlend erkundigte sie sich, ob sie mich auch nicht «unterbreche».
    «Im Augenblick nicht», sagte ich und drehte den Band C der Girls' Encyclopedia so, daß ich ein - wie Drucker sagen - «gestürztes» Bild betrachten konnte.
    Charlotte ging zu einem kleinen Schubfachtisch aus imitiertem Mahagoni. Sie legte Hand an ihn. Das Tischchen war zweifellos häßlich, doch es hatte ihr nichts getan.
    «Ich wollte dich schon immer fragen», sagte sie (sachlich, nicht kokett), «warum dies Ding abgeschlossen ist? Willst du es in diesem Zimmer haben? Es ist so furchtbar gräßlich.»
    «Laß ihn in Ruhe», sagte ich. Ich war gerade beim Campen in Skandinavien.
    «Gibt es einen Schlüssel dazu?»
    «Versteckt.»
    «Ach, Hum...»
    «Weggeschlossene Liebesbriefe. »
    Sie sah mich mit einem ihrer weidwunden Rehblicke an, die mich so sehr irritierten, und weil sie nicht recht wußte, ob ich im Ernst sprach und wie sie die Unterhaltung fortsetzen könnte, stand sie regungslos da, indes ich geruhsam mehrere Seiten umblätterte (Canada, Canoë, Caravaning, Chalet), starrte auf die Fensterscheibe statt durch sie hindurch und trommelte mit ihren scharfen, mandelförmigen rosa Fingernägeln dagegen.
    Dann (bei Consommé oder Cornflakes) kam sie an meinen Sessel heran, sank gewichtig und in Schottenwolle auf die Armlehne nieder und überflutete mich mit dem gleichen Parfum, das meine erste Frau benutzt hatte. «Würden Euer Gnaden den Herbst gern hier verbringen?» fragte sie und zeigte mit dem kleinen Finger auf eine Herbstlandschaft in einem konservativen Staat im Osten. «Warum?» (sehr deutlich und langsam). Sie zuckte die Achseln. (Wahrscheinlich hatte Harold in dieser Jahreszeit immer Urlaub gemacht. Altweibersommer. Bedingter Reflex ihrerseits.)
    «Ich glaube, ich weiß, wo das ist», sagte sie und zeigte immer noch. «Ich erinnere mich an ein Hotel dort, Die verzauberten Jäger, drollig, was? Und das Essen ist traumhaft. Und keiner schert sich um den anderen,»
    Sie rieb ihre Wange gegen meine Schläfe. Valeria hatte sich das schleunigst abgewöhnt.
    «Hast du Appetit auf etwas Besonderes zum Abendessen, Liebling? John und Jean wollen später herüberkommen.»
    Ich antwortete mit einem Grunzen. Sie küßte mich auf die Unterlippe, sagte vergnügt, sie werde einen Kuchen backen (noch aus meinen Untermietertagen hielt sich die Überlieferung, daß ich ganz wild auf ihren Kuchen sei), und überließ mich meinem Nichtstun.
    Sorgfältig legte ich das offene Buch dorthin, wo sie gesessen hatte (die Seiten versuchten sich selbständig umzublättern, aber ein eingeschobener Bleistift hielt sie an), und unterzog das Versteck des Schlüssels einer genauen Prüfung: Er ruhte recht befangen unter dem alten teuren Rasierapparat, den ich benutzt hatte, ehe sie mir einen viel besseren und billigeren kaufte. War es das bestmögliche Versteck - dort unter dem Rasierapparat, in der Mulde des samtgefütterten Etuis? Das Etui steckte in

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