London Boulevard - Kriminalroman
unterhalten. Über den Jungen, den Sie in Brixton ausgeknipst haben ... auf dem Stuhl ...«
Ich legte auf. Damit hatte ich Zeit gewonnen. Aber er würde dem nachgehen und früher oder später Jagd auf mich machen. Bis dahin hoffte ich, würde ich einen Plan haben. Oder wenigstens ein bisschen mehr Munition.
A ls ich am darauffolgenden Abend zu dem Treffen mit Briony fuhr, parkte ich am Oval. Anschließend ging ich um die Ecke, nachsehen, wie sich der neue Big-Issue -Verkäufer machte. Der Junge war in Ordnung und erkannte mich sofort wieder. Ich kaufte eine Ausgabe und merkte, dass er mich musterte. Ich fragte:
»Wie läuft’s?«
»Das waren Sie, oder?«
»Was?«
»Das mit den beiden Jungs, die Joe umgebracht haben - das waren Sie.«
»Der Fußballer?«
»Ja, der aussieht wie Beckham.«
»War er gut?«
»Talentiert.«
»Na ja, ich muss weiter.«
Ich war schon am Wagen, als der Junge schrie:
»Wissen Sie, was ich denke?«
»Was?«
»Scheiß auf die.«
»Behältst du meinen Wagen im Auge?«
»Garantiert.«
Ich ging die Camberwell New Road entlang. Was für ein Dreckloch. Schlechte Pubs und noch schlechtere Stimmung. Überall schlichen junge Kerle in Kapuzenjacken herum. Gefahr lag in der Luft. Wie auf dem Hof nach zwölf Stunden Einschluss. Es hatte mal Zeiten gegeben, da baten Obdachlose noch höflich um ein bisschen Kleingeld. Jetzt wurde es eingefordert. Einfach so.
Ein Typ fasste mich ins Auge, ging erst mal an mir vorbei, kam zurück, sagte:
»Gib mal ne Kippe.«
Man muss die harte Tour fahren und dabei bleiben. Irgendein Scheiß oder eine Entschuldigung von wegen »Ich rauche nicht«, und die schneiden einem die Zunge aus dem Hals.
Ich sagte: »Verpiss dich.«
Das machte er.
Wenn sie auf Droge sind, läuft das Spiel natürlich anders. Ein Junkie kennt keine Regeln. Schlag zu und verzieh dich. Ich bedauerte schon, nicht gefahren zu sein, aber so oder so, das Adrenalin hielt mich auf Zack.
In Camberwell Green stieß ich einen erleichterten Seufzer aus und ging ins Restaurant. Briony saß schon da und beschäftigte sich mit einem Glas Wein. Sie war auf dem Gothic-Trip. Ganz in schwarz, weißes Make-up, ich sagte:
»Was ist das, der Banshee-Look?«
»Gefällt’s dir?«
»Wahnsinn.«
Der Besitzer war ein alter Freund und gab mir Fünf. Für einen in Peckham aufgewachsenen Italiener keine selbstverständliche Geste. Ich sagte:
»Schön, dich zu sehen, Alfons.«
»Und dich erst, mein Freund. Soll ich für euch beide bestellen?«
»Super.«
Briony schenkte mir Wein ein, wir stießen an, tranken, und ich fragte: »Also?«
»Hab meinen Arzt sitzen lassen.«
»Hab’s gehört.«
»Er hat mir seine PIN gegeben.«
»Deshalb hast du ihn verlassen?«
Sie lachte. Gott sei Dank. Der Abend würde nicht in Trübsinn ersaufen. Sie sagte:
»Ich hab einen kleinen Hund gekauft.«
Sie sah aus wie ein kleines Mädchen - na ja, wie ein Goth-Mädchen -, sagte:
»Einen Cavalier King Charles.«
»Schön.«
»Die sind sehr gutmütig, als hätten sie starke Beruhigungspillen geschluckt.«
»Die haben’s gut.«
Alfons brachte das Essen.
Einfach so.
Die Vorspeise: Fritto Misto di Verdura, Zucchini, Auberginen, Broccoli, in knusprigem Teig ausgebacken.
Außerdem Crostini al Prosciutto mit hauchdünn geschnittenem Schinken und mit Parmesan überbacken.
Es war schön, Bri beim Essen zuzusehen. Sie aß mit Freude und Konzentration. Sie sagte:
»Ich hab ihn Bartley-Jack genannt.«
»Wieso?«
Sie sah aus, als würde sie’s nicht wissen, sagte:
»Weiß nicht.«
Als Hauptspeise hatte Bri Costoletta alla Milanese. Paniertes Kalbfleisch, das im Mund zergeht.
Ich aß Gnocchi. Kleine Kartoffelklößchen mit Porcini.
Das sind Steinpilze.
Ich erklärte Bri, was was war und warum es wie hieß. Sie war beeindruckt, sagte:
»Woher weißt du so was? Du sprichst doch nicht mal richtig Englisch.«
»In den ersten beiden Wochen im Knast hatte ich nichts zu lesen außer einer italienischen Speisekarte. Die hatte jemand an meine Zellenwand genagelt. Ich muss sie tausend Mal gelesen haben. Dann wurde sie geklaut.«
»Warum?«
»Das ist so im Knast, das machen die einfach. Egal.«
Zum Abschluss tranken wir noch einen Espresso. So einen, der einem den Gaumen wegbrennt, bitter, so wie er sein muss. Ich sagte:
»Bri, du musst mir ganz genau zuhören.«
»Klar.«
»Kannst du eine Zeitlang irgendwo anders hin?«
»Warum?«
»Ich muss mich um ein paar Sachen kümmern, und da kann ich mir nicht auch noch um
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