London Hades
das Glas facettiertes Licht durch den Raum und auf die Fresken – wie Blitze, die ü ber eine albtraumhafte Landschaft zuckten.
» Da ist er ja, unser Lord! « Haggerty verneigte sich.
Zwischen den tanzenden M ä nnern trat Ross hervor. Frances h ä tte ihn beinahe nicht erkannt. Er sah so anders aus, trug keinen teuren Anzug, sondern lediglich ein Paar lederner Reithosen. Ü ber der nackten Schulter hielt eine blitzende Brosche einen bodenlangen roten Mantel zusammen, wie Frances ihn nur aus den Darstellungen antiker Feldherrn in den B ü chern des Pastors kannte.
» Du hast den Weg zu mir gefunden! « , rief er erfreut. Ein goldenes Diadem auf Ross ’ Kopf glitzerte mit seinen trunkenen Augen um die Wette. » Ich habe es gewusst. Kluges M ä dchen. F ü hlst du dich gut? «
Sie sch ü ttelte den Kopf.
» Oh, du wirst dich gut f ü hlen! Sp ä ter. – Sag, gefallen dir meine Gem ä lde? « Er legte ihr den Arm um die Schulter und drehte sie zu den Wandmalereien. » Es ist ein Kreuzweg, siehst du? Der Weg, an dem ich den Hades errichtet habe. Mein Kreuzweg. «
» Blasphemie …« , brachte sie mit schwerer Zunge hervor.
» Sicher « , lachte er. » Schlie ß lich wird hier nicht der Herr gekreuzigt – er t ö tet selbst. « Er schob sie an den Anfang der Bilderreihe, damit sie die Darstellungen genau betrachten konnte. » Da, ich habe sie alle malen lassen: Es sind genaue Abbildungen meiner Wundertaten. «
Frances wollte nicht hinsehen, aber der Marshall zwang ihren Blick zu den Malereien. Bisher hatte sie nur geahnt, wie er seine Opfer hingerichtet hatte, jetzt konnte sie es sehen. In ihrem ganzen Leben war ihr nie zuvor so elend zumute gewesen.
» Sie im Rausch zu sehen, muss noch viel sch ö ner sein. Ich sollte das selbst vielleicht einmal versuchen. «
Frances wollte herausschreien, wie entsetzlich es war. Dass die Bilder wie lebendig vor ihren Augen tanzten, aber sie brachte nur ein Wimmern hervor.
» Vielleicht tue ich es, wenn der Zyklus vollendet ist. Ich habe noch zwei Bildfelder freigelassen. F ü r besondere Protagonisten! «
Er zog sie weiter, aber ihr Blick blieb an einem Bild, etwa aus der Mitte der Serie. Sie hatte das abgebildete Gesicht dieses Gefolterten schon einmal gesehen. Auf einem Karren vor Henrys Haus im Coral Court , an ihrem ersten Abend in der Stadt. Es war das Gesicht ihres Bruders.
» O Gott, o Herr, nein! « Ihre Beine knickten unter ihr weg wie Grasst ä ngel, w ä hrend sie die H ä nde nach dem Bild ausstreckte, das den Tod ihres Bruders und einer jungen Frau zeigte.
» Ich wusste, dass dir soetwas gef ä llt « , meinte Ross g ö nnerhaft. Erbarmungslos zog er sie vom Boden hoch und zwang sie weiter. » Und dabei kennst du noch nicht einmal mein neuestes Sujet. « Er wies auf die vorletzte Bildfl ä che in der Reihe. Die Szene war fast fertiggestellt. Ein Teil eben dieses Raumes war zu sehen, Ross in seinem albernen Kost ü m und eine Gestalt, die blut ü berstr ö mt am Boden kauerte. Sie war in ein blaues Tuch eingeh ü llt, aber ihr Gesicht fehlte noch.
Frances verstand nicht. Ihr Blick huschte ein Bildfeld weiter. Aber auch dort fand sie keine Antwort, nur die Vorzeichnung einer Wegkreuzung, auf der sich ein seltsames Gebilde auf drei Pfosten erhob.
» Und dies hier ist der Meister, der meinen Ruhm verewigt. « Der Marshall lenkte ihren Blick zur R ü ckwand des Saales. Hier war ein kleines Podium errichtet worden. Darauf stand ein Faltstuhl, der mit Tierfellen beladen war und von einem Baldachin bekr ö nt wurde. Beides war auch auf dem Gem ä lde zu sehen.
Auf den Stufen des Podiums hockte ein Mann mit Stift und Skizzenbrett. » Kann ich fortfahren, Mylord? «
» Sofort « , speiste Ross ihn ab. » Denn hier, meine Liebe, hier haben wir …«
Frances sah kaum mehr, dass er ihr grinsend zublinzelte. In dem Moment, in dem Ross sie durch die feiernden M ä nner geleitete und sie die Gestalt erblickt hatte, die vor dem Maler und der Throninstallation am Boden kauerte, schien es ihr, als w ä ren die Fesseln des Opiums mit einem Schlag durchtrennt worden. Sie schnellten aus ihrem Bewusstsein zur ü ck, lie ß en Frances wettergebr ä unte, breite Schultern erkennen, von blauen Stoffbahnen nur halb verh ü llt. Ein gro ß er, kr ä ftiger K ö rper war darunter verborgen. Er war nach vorne gebeugt, sodass dem Mann braun gelockte Haare ü ber das Gesicht fielen. Nach ihm hatte sie sich die ganze Zeit gesehnt.
» Meister Matthew « , sagte Ross. » Sieh nur,
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