London Hades
Inhaber der darunter befindlichen Holzh ü tte am Fenster Selbstgebrannten ausschenkte.
Ungeniert starrten sie Frances an, so aufdringlich, dass sie schlie ß lich die Kapuze ihres Mantels ü ber den Kopf zog, um den schlimmsten Gaffern zu entgehen. Mit ihrer sauberen Kleidung zog sie alle Blicke auf sich. Jeder hier erkannte in ihr einen Fremdk ö rper. Dies war ein Ort, der v ö llig abgeschlossen vom Rest der Stadt existierte, umgeben von den Mauern der Realit ä t.
Frances raffte ihre R ö cke h ö her, um ü ber Betrunkene zu steigen und um nicht in eine der nachl ä ssig ausgehobenen Rinnen in der Mitte der Stra ß e zu geraten, in denen bestialisch stinkende Abw ä sser stockten.
» Gibt es hier keine Unratsammler? « , fragte sie Collin mit gesenkter Stimme, w ä hrend sie sich an zwei schmutzigen kleinen M ä dchen vorbeischoben, die in einer der Kloaken Holzst ö ckchen schwimmen lie ß en.
» Was? «
» Na, M ä nner, die des Nachts die Stra ß en von Exkrementen und Abf ä llen befreien und auf ihren Wagen aus der Stadt schaffen, um sie auf den umliegenden Feldern einer n ü tzlichen Bestimmung zuzuf ü hren. So etwas gibt es doch in London. «
Sie glaubte, den Jungen sehr leise und ver ä chtlich durch die Z ä hne pfeifen zu h ö ren. » In St. Giles ? Ich dachte, du h ä ttest hier mal gelebt « , gab er zur ü ck.
Hier doch nicht! Gleich w ü rden sie wieder um eine Ecke biegen, diese ekelhafte Welt verlassen, und dann w ü rde die Ivy Street vor ihnen liegen. Klein, sauber, verschlossen vor dem Unbill dieser menschlichen Abgr ü nde … Seltsam nur, dass die ganze, unertr ä gliche Situation etwas in ihr wachrief, wie ein leises Summen, dass sich in ihrem Hinterkopf r ü hrte und ihre Unruhe sch ü rte.
» Warte! « Collin war ein St ü ck vor ihr um die n ä chste Ecke gebogen. Jetzt schlug sein Arm ihr vor die Brust und stoppte sie. » Hier lang! «
Frances ’ Blick erfasste gerade noch den Haufen zerborstener M ö bel- und H ä userteilen, der vor ihnen den Weg blockierte, da dr ä ngte sie Collin auch schon zur ü ck und in eine andere Abzweigung hinein.
» Eine Barrikade? « , vermutete sie leise.
» Du lernst dazu, Missy! «
Das Wort hatte ihr einfach so auf der Zunge gelegen, und in ihrem Kopf waren Bilder von bewaffneten M ä nnern, die im Schutz der abbruchreifen H ä user auf arglose Passanten lauerten. Vielleicht hatte sie zu viele R ä ubergeschichten gelesen.
Sie war nicht einmal mehr entsetzt, als sich pl ö tzlich vor ihnen ein junges M ä dchen mit entbl öß ten Br ü sten aus dem Fenster lehnte. » Ich mach ’ s euch billig, kommt nur rein « , leierte sie herunter, nur um sofort zu verstummen, als sie sah, dass keine potentielle Kundschaft vor ihr stand.
Collin drehte sich fl ü chtig zu Frances um, vielleicht um zu sehen, wie sie die Erscheinung aufgenommen hatte. Er hatte seine Schritte daf ü r nicht verlangsamt, und als er sich davon ü berzeugt hatte, dass sie nicht herumschreien w ü rde, setzte er seinen Weg fort, konzentriert und unauff ä llig.
Frances fand gar keine Zeit zu schreien. Sie war zu aufgeregt. Das Summen in ihrem Kopf hatte sich ausgebreitet, ihren Magen erreicht. Sie suchte nach etwas Bekanntem, einem Beweis f ü r ihr fr ü heres Dasein in diesen Gassen. Die heruntergekommenen H ä user, die Leute hier, das st ä ndige Gef ü hl der Anspannung, der Erwartung, dass hinter der n ä chsten Wegbiegung etwas Unerwartetes lauern k ö nnte – es war, als wollte sie all das nur zu einer gr öß eren Erkenntnis hinleiten.
Sie richtete den Blick auf den Boden, lie ß ihn die Abwasserrinnen entlanglaufen, ü ber H ä userecken streifen, ü ber die Stra ß enpflasterreste, die einen alten Mauerzug einrahmten, als wollten sie ihn besch ü tzen. Sie bestanden aus kleinen, oval abgeschliffenen Steinen, die aussahen, als habe eine Kolonie H ü hner sie hier zum Br ü ten abgelegt. Frances sah an den Backsteinen der Mauer hoch und erinnerte sich daran, sich als Kind einmal die H ä nde an den Glasscherben aufgeschnitten zu haben, welche die Mauer kr ö nten. War sie damals nicht auf der Flucht gewesen?
Aber auf der Flucht wovor?
Sie ü berholte Collin. » Wir sind da « , rief sie und wusste selbst nicht genau, woher sie das wusste.
» Ja, ganz richtig « , sagte er erstaunt und schloss zu ihr auf. » Hier geht ’ s rein. «
Das Eierpflaster zog sich links um die Stra ß enecke herum bis in die Ivy Street . Am liebsten h ä tte Frances sich die Schuhe
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