London Hades
ß e Bibliothek, und sie hatte viel Zeit zum Lesen gehabt, wenn ihre Mutter nicht da gewesen war, weil sie im Laden arbeiten musste.
» Jetzt bin ich erstaunt, Piratentochter. «
Sie warf den Kopf zur ü ck. » Es ist nichts Ungew ö hnliches daran, wenn eine Frau liest! Matthew hat mal gesagt, w ä hrend wir lesen, sind wir frei. Wir k ö nnen an all die Orte gehen, die wir sonst niemals sehen w ü rden, fremde und erstaunliche Dinge kennen lernen. Nat ü rlich h ä lt meine Mutter das f ü r Zeitverschwendung. Wei ß t du, was f ü r sie Freiheit ist? Sich ihre Kunden aussuchen zu k ö nnen, sich ü ber nichts Gedanken machen zu m ü ssen. Was f ü r ein Leben! «
Als ihre Mutter das einmal gesagt hatte, hatte Frances es nicht verstanden. Im Hause des Pastors mit all seinen B ü chern und Annehmlichkeiten war es einfach gewesen, den Gedanken an den Laden ihrer Mutter und an all die Dinge, die dort vorgehen mochten, wegzuschieben. Nur selten hatte die Sehnsucht nach Maman sie in das Gesch ä ft in Kings Langley getrieben, hatte sie die M ä nner sehen lassen, die dort von der Theke weg direkt ins Hinterzimmer gebeten wurden. Sich seine Kunden aussuchen k ö nnen … Mutter hatte es genauso gemeint, wie sie es gesagt hatte.
Henry begann, auf seinem Platz herumzurutschen, als w ü rde er auf etwas Spitzem sitzen. » So ist das nicht …« , hob er an, nur um sich sofort zu unterbrechen. Frances konnte ihm ansehen, wie die Gedanken hinter seiner Stirn mit seinen Worten Krieg f ü hrten, bis er endlich die gew ü nschte Ablenkung von dem fand, was er eigentlich hatte sagen wollen: » Es regnet. « Er deutete zum Himmel.
Tats ä chlich waren es diesmal nicht nur Wolken aus Kohlenrauch, die den Himmel verdunkelten. Als Frances den Kopf hob, fielen bereits die ersten Regentropfen auf ihr Gesicht.
Henry st ö hnte entnervt. Er nestelte am Verschluss seines Mantels herum, dann zog er ihn ü ber ihrer beider K ö pfe. » Sicher nur ein Schauer « , murmelte er.
Der schwere graue Wollstoff erdr ü ckte Frances schier unter sich, und auch Henry schien neben ihr ein St ü ckchen kleiner zu werden. Er zog die Beine an den K ö rper heran. Die Bewegung trug seine W ä rme zu ihr hin ü ber, seinen Geruch nach Seife und parf ü miertem Puder. Warum schwieg er jetzt so beharrlich?
» Stimmt etwas nicht? « , fragte sie.
Im Halbdunkel seines Mantels sah er sie nachdenklich an.
Sie wusste nicht, ob es richtig war, so vertraut mit einem fremden Mann in einer einsamen Gasse beisammenzusitzen. Dennoch r ü ckte sie n ä her an ihn heran.
» So ist das wirklich nicht « , sagte er nach einer Weile. Hatte er die ganze Zeit dar ü ber nachgedacht, was sie eben gesagt hatte? » Es ist ein St ü ck Freiheit, wenn du dir deine Kunden aussuchen kannst. «
Auch wenn er es wiederholte, es klang nicht richtig. » Aber du bist nicht frei, wenn du dir ü berhaupt welche aussuchen musst. «
Henry sch ü ttelte den Kopf. » Frances, niemand ist hier wirklich frei « , sagte er sanft. » In irgendeiner Form sind wir alle abh ä ngig. Nimm Nathan. Er ist Constable in Covent Garden , einer der Besten, die wir je hatten. Aber wenn Ross nach ihm pfeift, weil er Hilfe bei einer Verhaftung ben ö tigt, dann muss er springen, wenn ihm sein Amt lieb ist. Und er verdient so wenig, dass er bei seinem Onkel leben muss und diesem auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. – Was glaubst du, wie viele der einfachen Stra ß enh ä ndlerinnen in Covent Garden von ihren schmalen Gesch ä ften leben k ö nnen? Wenn du nicht wei ß t, wovon du deine n ä chste Mahlzeit bezahlen oder womit du das schreiende Baby daheim f ü ttern sollst, ü berlegst du dir, ob du nicht schnell den Rock f ü r den Mann mit dem Geldbeutel vor dir heben sollst. «
» Versuchst du dieses Gewerbe gerade zu rechtfertigen? «
Selbst im Halbdunkel des Mantels h ä tte er ihren verst ä ndnislosen Blick sehen k ö nnen, wenn er es versucht h ä tte, denn sie erkannte sehr wohl, wie es in seinem Gesicht arbeitete, als er erwiderte: » Nein. Das kann ich nicht. « Statt seiner Schuhe fanden seinen Augen jetzt irgendeinen Punkt auf seinen Knien, der so interessant schien, dass er minutenlang darauf hinabblicken musste.
» Ich verstehe, warum du die Arbeit deiner Mutter verachtest « , fuhr er schlie ß lich fort. » Ich meine nur, dass du ü ber sie als Person vielleicht nicht zu hart urteilen solltest. «
Begriff er nicht, was sie ihm erz ä hlt hatte? Sie w ü hlte in ihrem Korb
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