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London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
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ein Leben. So ein Leben. Ein Leben.
132. Ehekrach
    »Ich halte das nicht aus, dass sie so ein Leben führen!«, schrie Natalie Blake.
    »Du machst da ein unnötiges Drama draus«, sagte Frank.
133. E pluribus unum
    In der Tat höchst ungewöhnlich, wieder in den Schoß des Middle Temple zurückkehren zu dürfen, doch Natalie Blake war ja auch in vieler Hinsicht eine ungewöhnliche Bewerberin, und etliche Partner der Kammer betrachteten sie als ihren inoffiziellen Schützling, auch wenn sie sie im Grunde nur flüchtig kannten. Natalie hatte etwas an sich, das zur Unterstützung einlud, als könnte man, indem man ihr half, unsichtbaren Heerscharen beistehen.
134. Paranoia
    Ein Mann und eine Frau, ein Paar, saßen Natalie und Frank am Tisch gegenüber, beim Samstagsbrunch in einem Café in London NW .
    »Das ist bio«, sagte Ameeta. Sie meinte das Ketchup.
    »Es schmeckt nicht«, sagte Imran, ihr Mann. Auch er meinte das Ketchup.
    »Es schmeckt nicht nicht. Es sind nur nicht die zehn Löffel Zucker drin, die du gewöhnt bist«, sagte Ameeta.
    »Man nennt so was Geschmack«, meinte Imran.
    »Iss es oder lass es bleiben«, sagte Ameeta. »Das interessiert niemanden.«
    Ringsum, an den anderen Tischen, brüllten anderer Leute Babys.
    »Ich hab ja auch nicht gesagt, dass es irgendwen interessieren muss«, sagte Imran.
    »Indien gegen Pakistan«, sagte Frank – womit er scherzhaft auf die Herkunftsländer seiner Freunde anspielte. »Wir können nur hoffen, dass keine Atomwaffen zum Einsatz kommen.«
    »Haha«, sagte Natalie Blake.
    Sie setzten ihr Frühstück fort. Aus dem Frühstück wurde ein Brunch. Das machten sie ein-, zweimal im Monat. Der heutige Brunch erschien Natalie lebhafter als sonst und entspannter, als hätte sie, seit sie wieder zu einem kommerziellen Umfeld gehörte und zumindest teilweise für die Belange großer Firmen eintrat, die letzten Reste einer verstörenden Aura abgestreift, die ihre Freunde irritiert und sie ihr gegenüber befangen gemacht hatte.
135. Geringschätzung
    Die Spiegeleier kamen zu spät. Frank stritt freundschaftlich mit dem Kellner, bis sie von der Rechnung genommen wurden. Unter anderem verwendete er dazu den Satz: »Komm, bruv, wir sind doch beide gebildete Checker.« Natalie Blake kam der Gedanke, dass sie nicht besonders glücklich verheiratet war. Er war albern. Machte blöde Witze, verletzte andere. Er war ständig gut gelaunt und trotzdem eigensinnig. Er las nicht und interessierte sich auch sonst praktisch nicht für Kultur, bis auf die alte, nostalgische Vorliebe für Hip-Hop aus den Neunzigern. Der Gedanke an die Karibik langweilte ihn. Wenn es um die Seelen der Schwarzen ging, dachte er lieber an Afrika – »Äthiopien, die Schattenhafte, Ägypten, die Sphinx« –, wo die beiden Stränge seiner DNA in alten Geschichten ritterliche Kämpfe ausfochten. (Er kannte diese Geschichten nur in ihren vagen, biblischen Grundzügen.) Er hatte Ketchup im Mundwinkel, und sie hatten überstürzt geheiratet, ohne einander besonders gut zu kennen. »Ich mag sie schon ganz gerne«, sagte Ameeta. »Ich habe nur einfach nicht viel Vertrauen zu ihr.« Frank De Angelis würde Natalie Blake niemals betrügen, belügen oder verletzen, in keiner Hinsicht. Körperlich war er wunderschön. Herzensgut. »Was heißt hier Steuern umgehen?«, sagte Imran. »So was nennt man Steuern verwalten.« Glück ist nichts Absolutes. Es ist ein Annäherungswert. Waren sie denn unglücklicher als Imran und Ameeta? Als die Leute da drüben? Als Sie? »Von allem mit Weißmehl kriege ich Ausschlag«, sagte Frank. Auf dem Tisch lag ein dicker Stapel Zeitungen. In Caldwell war die Wahl der Zeitung von großer Bedeutung gewesen. Marcia bildete sich einiges darauf ein, dass die Blakes die Voice und den Daily Mirror lasen und keinen »Schund«. Inzwischen kam jeder mit seiner »seriösen« Tageszeitung und ein paar Boulevardzeitungen als Beilage zum Brunch. Möpse und Pfarrer und Promis und Mord. Die Glaubenssätze ihrer Mutter – und damit implizit auch Natalies eigene – wirkten veraltet. »Das ist die Revolution«, sagte Ameeta. Natalie drückte das Messer in ihr Spiegelei und sah zu, wie das Eigelb sich über die Bohnen ergoss. »Noch eine Runde Tee?«, fragte Frank. Sie waren sich alle einig, dass der Krieg eigentlich nicht sein durfte. Sie waren gegen Krieg. Mitte der Neunziger, als Natalie Blake noch mit Imran schlief, hatten sie mit einem Krankenwagen-Konvoi nach Bosnien fahren wollen. »Aber es war doch

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