Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
Vom Netzwerk:
Keisha?«
    Natalie fasste sich an den schiefen Scheitel, den nüchternen Knoten, schmucklos zurückgekämmt.
    »Wenig. Ich hab einfach nicht die Zeit.«
    »Ich mach das ja alles selber. Microbraids. Komm doch mal vorbei und lass mich ran. Dauert nur sechs Stunden. Wir könnten uns abends treffen, endlich mal wieder richtig reden.«
127. Der Zusammenhang zwischen Chaos und anderen Qualitäten
    Bei RSN Associates quoll das Gesetz aus kaputten Aktenordnern, es pflasterte die Wände der Flure, der Toilette und der Küche. Dieses Chaos war unvermeidlich, bis zu einem gewissen Grad entsprach es aber auch einer bestimmten Ästhetik, die von den Partnern noch ein wenig übertrieben wurde und Uneigennutz und Ehrlichkeit signalisieren sollte. Natalie erkannte, dass ihre Mandanten das Durcheinander als beruhigend empfanden, so wie die Sofas im Barockstil und die Jagdhunde in Öl im Middle Temple auf eine andere Sorte Mandanten beruhigend wirkten. Wer hier arbeitete, konnte das nur aus Liebe zur Rechtsprechung tun. Nur echte Idealisten blieben freiwillig so arm. Für die Gerichtstermine verwies man die Mandanten an Jimmy’s Suit Warehouse in Cricklewood. Gewonnene Prozesse wurden in der Kanzlei gefeiert, mit billigem Fusel, Pittabrot und Hummus. Wenn einer der Anwälte von RSN einen Mandanten im Gefängnis besuchte, kam er mit dem Bus.
128. »An der Front«
    Hin und wieder, vor Gericht oder auf dem Polizeirevier, begegnete Natalie Firmenanwälten, die sie noch von der Uni kannte. Manchmal telefonierte sie auch mit ihnen. Sie machten meist viel Gewese um ihr juristisches Ethos, ihre hohen moralischen Ansprüche und ihr Desinteresse an Geld. Manchmal schlossen sie mit einem zweifelhaften Kompliment, indem sie andeuteten, dass die Gegend, in der Natalie aufgewachsen war und in die ihre Arbeit sie nun zurückführte, in ihren Augen ein hoffnungsloser Fall sei, vergleichbar mit einem Kriegsgebiet.
129. Wiederkehr
    Sie fand die Pendelei »tödlich«. Manchmal gewinnt eine schlichte Wortwahl ungeahntes Gewicht, wenn sie erst einmal in der Welt ist. Und so wurde »tödlich« zur Prämisse einer Rückkehr nach NW . »Aber dann muss ich pendeln«, protestierte Frank De Angelis. »Du nimmst einfach die Jubilee«, erwiderte seine Frau Natalie Blake. »Von Kilburn bis Canary Wharf.« Sorgfältig setzte sie den Vertrag auf, handelte eine Hypothek aus, teilte die Kaution durch zwei. Und das alles für eine Wohnung in Kilburn, die ihr Mann einfach so hätte kaufen können, ohne mit der Wimper zu zucken. Als das Geschäft getätigt war, kaufte Natalie zur Feier des Tages eine Flasche Cava. Um sechs, als sie die Schlüssel abholte, war er noch bei der Arbeit, auch um acht war er noch dort – bis dann um Viertel vor zehn der unvermeidliche Anruf kam: »Sorry – wir müssen mal wieder durchmachen. Geh ruhig ohne mich, wenn du magst.« Epigramm einer Ehe. Natalie Blake rief Leah Hanwell an: »Lust, mir dabei zuzuschauen, wie ich mich selbst über die Schwelle trage?«
130. Wiedereintritt
    Leah drehte den Schlüssel im schwergängigen Schloss. Hinter ihr schlich Natalie hinein, ins Erwachsenenleben. Das sich vor allem durch Stille und Abgeschiedenheit auszeichnete. Strom gab es noch nicht. Ein heller Mond beschien die kahlen weißen Wände. Natalie schämte sich, weil sie kurz enttäuscht war: Nachdem sie monatelang bei Frank gewohnt hatte, kam ihr das hier jetzt klein vor. Leah drehte eine Runde durch das Wohnzimmer und pfiff anerkennend. Sie legte noch ältere Maßstäbe an: doppelt so groß wie zwei Zimmer in Caldwell.
    »Was ist das da draußen?«
    »Das Dach von drunter. Es ist kein Balkon, der Makler meinte, man kann nicht ...«
    Leah kletterte durch das Schiebefenster auf den efeubewachsenen Vorsprung. Natalie folgte ihr. Sie rauchten einen Joint. Unten in der Auffahrt saß frech wie eine Katze ein fetter Fuchs und sah zu ihnen empor.
    »Dein Efeu«, sagte Leah und strich darüber, »dein Mauerwerk, dein Fenster, deine Wand, deine Glühbirne, deine Regenrinne.«
    »Ich teile mir das alles mit der Bank.«
    »Trotzdem. Der Fuchs da ist trächtig.«
    Natalie fingerte den Korken aus der Flasche. Er knallte gegen die Wand und verschwand in der Dunkelheit. Sie nahm einen schlabbrigen Schluck. Leah beugte sich vor und wischte ihrer Freundin das Kinn ab: »Du Cava-Kommunistin.« Man beachte, wie Natalie dem Gespräch nun eine neue Ausrichtung gibt. Es handelt sich dabei um eine weibliche Kunstform. Sich selbst verortet sie etwa in der Mitte einer

Weitere Kostenlose Bücher