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London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
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und bereute es sofort.
    »Ein Cousin von mir ist Vizepräsident bei Sony, vielleicht kennst du ihn ja? Daniel Palmer. Soho Square?«
    »Ach, nee ... Ich war eigentlich eher ’ne Art Laufbursche. Mal da, mal dort. Bei verschiedenen Firmen.«
    »Alles klar«, sagte Tom mit zufriedener Miene. Ein kleines Rätsel war schon mal gelöst. »Ich interessiere mich ja sehr für Film – hab mich so nebenbei ein bisschen damit befasst, wie Erzählstrukturen funktionieren, wie man aus Bildern Geschichten macht ...«
    Felix zog seine Kapuze hoch. »Dann bist du also aus der Branche?«
    »Nicht direkt, also, nein, zurzeit nicht, nein, also, ich bin überzeugt, ich hätte da Fuß fassen können, aber Film ist doch echt ein unsicheres Geschäft. Auf der Uni war ich ein richtiger Filmfreak, fast ein Nerd. Nein, jetzt bin ich mehr so kreativ unterwegs. Also, kreativ im Medienbereich. Schwer zu erklären – ich arbeite bei einer Firma, die Ideen zur Markenkonsolidierung entwickelt. Wir helfen Firmen, die zielgruppenorientierte Annahme ihrer Produkte zu verbessern – also im Grunde topaktuelle Marktmanipulation.«
    Felix blieb stehen und zwang den Jungen, ebenfalls stehen zu bleiben. Mit leerem Blick musterte er seine ungerauchte Zigarette.
    »So was wie Werbung?«
    »Im Grunde, ja«, meinte Tom genervt, und als Felix ihm immer noch nicht folgte: »Brauchst du Feuer?«
    »Nee. Hab ich hier irgendwo. Also so was wie Werbekampagnen?«
    »Also, nein, nicht direkt, weil – das ist ein bisschen schwer zu erklären – im Grunde sehen wir Kampagnen nicht mehr als zukunftsweisend. Es geht eher darum, Luxusmarken ins alltägliche Bewusstsein zu bringen.«
    »Werbung«, schloss Felix, zog sein Feuerzeug aus der Tasche und setzte eine Unschuldsmiene auf.
    »Es ist gleich hier rechts, wenn du ...«
    »Bin dir auf den Fersen, bruv. «
    Sie gingen über einen prächtigen Platz und dann weiter in eine Seitenstraße, deren Häuser allerdings nicht weniger prächtig waren: weiße Fassaden, mehrere Stockwerke hoch. Von irgendwo kamen Kirchenglocken. Felix streifte die Kapuze ab.
    »Da wären wir – das ist sie. Ich meine, das ist natürlich nichts, was man ... sorry, Felix, entschuldigst du mich kurz? Da muss ich rangehen.«
    Der Junge hielt sein Handy ans Ohr und setzte sich auf die schwarz-weiß gefliesten Stufen des nächstbesten Hauses, genau zwischen zwei Blumenkübel mit Orangenbäumchen. Felix machte einen halben Bogen, bis er auf der Straße stand. Er ging in die Hocke. Sie lächelte ihn an, aber das taten sie alle, egal, in welchem Zustand sie waren. Froschaugen-Scheinwerfer, irres Kühlergrill-Grinsen. In diesem Fall einäugig. Er fasste an die Stelle, wo die Plakette hingehörte. Wenn es so weit war, würde dort ein silbernes Achteck prangen, die beiden Buchstaben Rücken an Rücken, wie im Tanz. Kein Plastik. Metall. Alles so, wie’s sein sollte. Er richtete sich auf. Schob die Hand durch den riesigen Riss im Faltdach und rieb den Stoff zwischen den Fingern: dünnes, ausgebleichtes Polyestergewebe. Die Plastikluke sowieso längst beim Teufel. Den Rost brauchte er gar nicht anzufassen, er sah sofort, wie schlimm es war. Am schlimmsten hinten links, da war es quasi ein ganzer Kontinent – aber auch ganz ordentlich rund um die Motorhaube, was hieß, dass sie höchstwahrscheinlich durchgerostet war. Trotzdem: das richtige Rot. Das Original-Rot. Schön gewölbt über den Vorderrädern, hinten so rechtwinklig, wie sie sein sollte, und eine makellose Gummistoßstange – das alles wies zumindest darauf hin, dass sie auch wirklich war, was sie zu sein vorgab. M D G E T . Leicht zu beheben, genau wie die anderen Äußerlichkeiten – Kosmetik. Die eigentlichen Neuigkeiten warteten unter der Motorhaube. Und lustigerweise war es umso besser für ihn, je schlechter diese Neuigkeiten ausfielen. Barry aus der Werkstatt: »Was noch fährt, Kleiner, das kannst du dir nicht leisten.« Aber er würde dafür sorgen, dass sie wieder fuhr. Vielleicht nicht diesen Monat und auch nicht nächsten, aber irgendwann. Ungeduldig drückte er den Türgriff. Am liebsten hätte er einfach das kaputte Fenster aufgerissen, das mit Pappe und Klebeband geflickt war.
    »Es geht doch nicht darum, wer mehr empfindet«, sagte der Junge. Er rollte mit dem Fuß einen Kieselstein auf einer Fliese hin und her. Felix lehnte sich an den Wagen. »Soph? Soph? Hör mal, ich hab gerade nicht so viel Zeit. Natürlich nicht! Mein Handy war leer. Nein, jetzt nicht mehr. Bitte beruhige

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