London NW: Roman (German Edition)
sich daran zu freuen, dass seine Haut Verlegenheit nicht so schnell und deutlich zur Geltung brachte. Toms Handy meldete sich wieder.
Felix stand auf. »Schon gut, Kumpel, geh ruhig ran. Ich hol die Sachen. Pint für dich, ja?«
Draußen ein strahlender Samstagmittag im Spätsommer; drinnen zehn Uhr abends an einem Dienstag im Oktober. Die Decke aus schwarzem, zu Sechsecken geschnitztem Holz, der Teppich lichtschluckend und dunkelgrün. Holzmöbel wie Särge, schwer und uralt. In der Ecke neben der Musicbox saß ein alter Mann in einer abgetragenen Arbeiterjacke, mit Haut wie weißes Papier und gelbem Haar und gelben Nägeln, der sich eine Zigarette drehte – eigentlich sah er selbst wie eine Zigarette aus. An der Theke hockte eine alte Frau mit dürren Beinen auf einem Barhocker und zählte immer wieder vier kleine Stapel aus Zwanzig-Pence-Münzen durch. Sie unterbrach ihre Tätigkeit, um Felix offen anzuglotzen, aber er lächelte nur zurück. »Hallo«, sagte er und wandte sich der Barfrau zu. Auf einmal hieb die Alte mit der Handkante in die Münztürmchen. Felix reagierte rasch, hinderte den einen Stapel daran, komplett von der Theke zu kullern. Aus dem Augenwinkel sah er Tom auf die Toiletten zusteuern. Die Barfrau flüsterte eine tonlose Entschuldigung und tippte sich mit dem Finger an die Schläfe. »Alles gut«, sagte Felix. Er nahm in jede Hand ein kühles Glas und ließ sich von der Barfrau eine Tüte Chips mit Salz und Essig zwischen die Zähne schieben.
»Wie alt bist du, Felix?«
»Zweiunddreißig.«
»Und warum siehst du dann jünger aus als ich?«
Felix riss die Chipstüte am Rand entlang auf und legte sie auf den Tisch.
»Findest du. Wie alt bist du denn?«
»Fünfundzwanzig. Mir gehen sogar schon die scheiß Haare aus.«
Felix biss auf den Trinkhalm und grinste dahinter hervor. »Ist bei meinem Alten auch so. Nicht eine Falte. Gute Gene.«
»Ja, ja, gute Gene. Damit kann man heute auch alles erklären.« Tom schirmte die Augen mit der Hand ab, als würde ihn die Sonne blenden. Felix’ Blick war durchdringend – er schaute einem immer in die Augen, egal, wie sehr man das zu vermeiden versuchte –, und Tom war diese Art Blickkontakt nicht mal von seinen engsten Freunden gewöhnt, geschweige denn von einem Wildfremden, dem er ein Auto andrehen wollte. Er zog eine Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie auf. »Und wie bist du vom Film in die Autowerkstatt gekommen, wenn ich fragen darf?«
»Ich hab alles Mögliche gemacht, Tom«, antwortete Felix fröhlich und brachte seine Finger in Aufzählposition. »Angefangen hab ich als Koch – immerhin hab ich ja ’ne Ausbildung in der Gastronomie –, und damit hab ich’s auch ganz schön weit gebracht, als ich noch jünger war; einmal war ich sogar Chefkoch in so ’nem kleinen Thai-Lokal in Camden, gar kein schlechter Laden; dann hab ich das aufgehört, bisschen handwerkern, bisschen Sicherheitsdienst, in Klubs, du weißt schon, bisschen Einzelhandel, hab ’nen Lieferlaster mit den Chips, die du da mampfst, die M 25 runtergefahren, für die Post gearbeitet«, sagte Felix mit einem so seltsamen Akzent, dass sich kaum erahnen ließ, wen er da nachahmte. »Und ich hab die hier gemacht.« Er deutete auf seine Brust. »Und dann hatte ich Glück und bin wo reingerutscht – kennst du das Cot-tes-loe?«, fragte Felix und sprach dabei betont langsam, um jede entscheidende Silbe zu erwischen. »Ist ’n Theater«, fuhr er fort und ließ die deutliche Artikulation gleich wieder sausen. »Ganz hier in der Nähe. Da war ich ’n Jahr lang im Vorderhaus, also, an der Kasse. Dann war ich Bühnenassistent, hab dafür gesorgt, dass die Kulissen da sind, wo sie sein sollen, so Zeug – dadurch bin ich auch zu der Film-Sache gekommen. Ich hab einfach irre Glück gehabt. Immer schon. Aber dann bin ich so richtig tief in die Drogen abgerutscht, Tom, wenn du’s genau wissen willst, und davon rappel ich mich jetzt die letzten paar Jahre so langsam wieder hoch, insofern.«
Tom wartete darauf, noch etwas über die Autowerkstatt zu hören – aber das blieb aus. Als hätte er eine Reihe seltsam geformter Gegenstände zugeworfen bekommen, griff er nach dem Erstbesten.
»Du hast T-Shirts gemacht?«
Felix runzelte die Stirn. Dafür interessierten sich die Leute normalerweise am wenigsten. Er stand auf und zog sein T-Shirt glatt, damit die verblasste Botschaft zumindest faltenfrei zu lesen war.
»Tut mir leid, ich kann kein ... ist das Polnisch?«
»Genau!
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