London Road - Geheime Leidenschaft
»Also. Dass dir irgendwas zu schaffen macht, lässt sich kaum leugnen, und … na ja … Ich habe in der Vergangenheit auf die harte Tour lernen müssen, dass man solche Gefühle nicht ignorieren sollte, nur weil die Möglichkeit besteht, dass man sie sich eventuell einbildet.«
Kurzzeitig von meinen eigenen Sorgen abgelenkt, fragte ich vorsichtig: »Was ist denn passiert?«
Ihre aparten Augen verengten sich, und mir fiel auf, dass sie unbewusst die Fäuste geballt hatte. »Mom. Bevor wir von ihrer Krankheit erfahren haben, war sie eine ganze Zeitlang so komisch – gereizt und ungeduldig, hat sich über die kleinsten Kleinigkeiten aufgeregt. Und wir reden hier von einer Frau, die so ziemlich der entspannteste Mensch war, den man sich vorstellen kann. Ich hatte das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt, aber ich habe sie nie darauf angesprochen. Ich hätte es tun sollen, dann hätte ich sie vielleicht dazu überreden können, wegen des Knotens in ihrer Brust zum Arzt zu gehen. Stattdessen war sie so in ihrer Angst gefangen, dass sie erst den Mut aufgebracht hat, etwas zu unternehmen, als es schon zu spät war.«
»Gott, Olivia. Das tut mir so leid.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich lebe jeden Tag mit dieser Schuld, also was auch immer dein Gefühl dir sagt, ignorier es nicht.«
Ich war so bestürzt über die dunklen Schatten in ihren Augen, dass ich auf ihren Ratschlag gar nicht weiter einging. »Weiß Onkel Mick, wie du dich fühlst?«
»Ja.« Sie nickte. »Er sorgt sich um mich. Aber mir geht’s gut.«
»Wenn du reden willst …«
Olivia schenkte mir ein trauriges Lächeln. »Danke, Jo. Das meine ich ganz ernst. Du steckst es wirklich gut weg, dass ich hier bin, und ich weiß, dass das nicht einfach sein kann. So wie du Dad ansiehst, merkt man sofort, dass du sehr an ihm hängst, und nachdem ich deine Mutter gesehen habe, hasse ich mich ein bisschen dafür, dass ich ihn dir weggenommen habe, als du ihn so nötig gebraucht hättest.«
»So darfst du auf keinen Fall denken. Du bist seine Tochter. Und er hat dich gebraucht. Das verstehe ich. Mein junges Ich hat es vielleicht nicht verstanden, aber mein erwachsenes Ich versteht es sehr wohl. Und mein erwachsenes Ich hat mit der Vergangenheit Frieden geschlossen.« Ich hörte Mick über eine Bemerkung von Cole lachen. »Aber es ist schön, ihn wiederzuhaben, wenn auch nur für kurze Zeit.«
»Cameron muss dich wirklich sehr mögen, wenn er sich so viel Mühe gemacht hat, uns zu finden?«
In ihrer Frage steckte noch eine andere Frage. Olivia war klargeworden, dass mein Kummer mit Cam zusammenhing. Wieder verspürte ich das dringende Bedürfnis, ihr mein Herz auszuschütten. Ich hatte so lange meine Sorgen heruntergeschluckt und immer alles mit mir selbst ausgemacht, und allmählich war ich es satt, jedes kleine Problem alleine ausfechten zu müssen. »Cam und ich sind gestern zufällig Cams Ex über den Weg gelaufen.«
Olivia stieß einen Seufzer aus. »Ah.«
»Vor einer Weile hat er mir mal erzählt, dass er dieses Mädel, Blair, geliebt hat. Ihre Beziehung ist auseinandergegangen, weil sie einen Studienplatz in Frankreich bekommen hat, nicht weil sie aufgehört haben, sich zu lieben. Jetzt ist sie wieder in der Stadt, und sie schreiben sich SMS. Du hast ja bestimmt gemerkt, wie verschlossen und komisch Cam gestern war, und dann hat er sich auch noch betrunken – er betrinkt sich sonst nie. Und jetzt denke ich natürlich das Schlimmste: dass Blair wieder da ist und Cam sich so seltsam benimmt, weil er sie noch liebt.«
»Woah, das ist aber eine ganze Menge.« Olivia straffte die Schultern und begann die einzelnen Punkte an ihren Fingern abzuzählen. »Punkt eins: Du weißt nicht mit Sicherheit, dass er sie noch liebt. Punkt zwei: Plötzlich eine Exfreundin wiederzutreffen, würde so ziemlich jeden aus der Bahn werfen. Punkt drei: Er kann nicht mit dieser Frau eine Freundschaft anknüpfen, ohne die Sache vorher mit dir zu besprechen, was mich wiederum zu Punkt vier führt: Du musst mit ihm darüber reden. Sonst frisst dich die Unsicherheit noch auf und macht eure Beziehung kaputt.«
Ich nickte. »Du hast recht. Du bist wirklich ziemlich gut.«
»Ich weiß. Und? Wirst du meinen Rat befolgen?«
»Ich habe ein kleines Problem mit Selbstzweifeln, insofern werde ich vielleicht eine Weile brauchen, bis ich es schaffe, ihn darauf anzusprechen.«
»Mit anderen Worten: Du hast Angst, dass er sagt: ›Ja, ich liebe Blair noch.‹«
Ich zog die Brauen
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