London Road - Geheime Leidenschaft
mein Freund und Kollege (und One-Night-Stand – nach Callum war ich am Boden zerstört gewesen), war nach Australien geflogen. Am Dienstag war sein letzter Abend gewesen, und Su, die Managerin des Clubs, führte schon seit einer Woche Vorstellungsgespräche mit potentiellen Nachfolgern. Ich würde Craig vermissen. Manchmal war mir sein Geflirte etwas zu aufdringlich gewesen, und ich hatte nie den Mumm gehabt, ihm zu sagen, er solle die Klappe halten (ganz im Gegensatz zu Joss), aber wenigstens hatte er immer gute Laune verbreitet. »Ja, wieso?«
Becca berührte mich am Arm und sah mich mit flehendem Blick an. Erst jetzt merkte ich, dass sie, obwohl sie ein paar Jahre älter war als ich, mit ihren blauen Kulleraugen, der weichen Haut und der hohen Stimme wie ein kleines Mädchen wirkte. Wir zwei hätten wirklich nicht unterschiedlicher sein können. »Cam ist Graphikdesigner. Er hat für eine Agentur gearbeitet, die Kampagnen für viele bekannte Unternehmen entwickelt hat, aber dann mussten sie Personal kürzen. Den Letzten beißen die Hunde, man kennt das ja. Cam war erst seit einem Jahr in der Firma, also hat’s ihn erwischt.«
Ich warf Cam einen zaghaft mitfühlenden Blick zu. Arbeitslos zu sein war echt scheiße.
Allerdings leuchtete mir nicht ganz ein, was das mit mir oder dem Barkeeper-Job im Club 39 zu tun haben sollte.
»Becca.« Inzwischen klang Cam regelrecht genervt. »Ich hab dir doch gesagt, ich regle das selber.«
Sie errötete unter seinem vorwurfsvollen Blick, und auf einmal empfand ich eine Art Verbindung zu ihr. Ich war nicht die Einzige, die sich von ihm eingeschüchtert fühlte. Immerhin.
»Ich will dir doch nur helfen, Cam.« Ihre nächsten Worte waren wieder an mich gerichtet. »Er hat Probleme …«
»Ich habe Probleme, eine Stelle als Grafiker zu finden«, fiel Cam ihr schroff ins Wort. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass seine schlechte Laune womöglich gar nichts mit mir zu tun hatte, sondern lediglich mit seiner Job-Misere. »Malcolm hat erwähnt, dass im Club 39 eine Vollzeitkraft gesucht wird, und ich habe Erfahrung als Barkeeper. Ich brauche was zur Überbrückung, bis ich wieder eine richtige Stelle gefunden habe. Wenn du mir einen Bewerbungsbogen besorgen könntest, wäre das nett.«
Warum ich mich dazu entschloss, ihm zu helfen, obwohl ich weder ihn noch seine Art sonderlich gut leiden konnte, würde mir auf ewig ein Rätsel bleiben, jedenfalls antwortete ich: »Ich mache sogar noch was Besseres: Ich rede mit unserer Managerin und gebe ihr deine Nummer.«
Er starrte mich kurz an. Es war unmöglich zu sagen, was in ihm vorging. Schließlich nickte er zögerlich. »Okay, danke. Meine Nummer ist …«
Genau in dem Moment vibrierte mein Handy, und ich riss es hoch, um aufs Display zu schauen.
War bei Jamie, bin jetzt wieder zu Hause. Hör auf zu stressen. Cole.
Schlagartig fiel die Anspannung von mir ab. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und tippte rasch eine Antwort.
»Jo?«
Ich sah auf. Malcolm sah mich fragend an.
Verdammt. Cams Nummer. Ich wurde rot. Über Coles Nachricht hatte ich ihn total vergessen. Ich schenkte ihm ein schuldbewusstes Lächeln, das allerdings an seiner versteinerten Miene abprallte. »Sorry. Wie war deine Nummer?«
Sichtlich gereizt ratterte er sie herunter, und ich tippte sie in mein Handy ein.
»Ich gebe sie gleich morgen weiter.«
»Alles klar«, antwortete er gelangweilt, als glaube er nicht daran, dass ich über ausreichend Hirnschmalz verfügte, um mich am nächsten Tag noch daran zu erinnern.
Sein abweisendes Verhalten tat weh, aber ich beschloss, mich davon nicht runterziehen zu lassen. Stattdessen schmiegte ich mich an Malcolms Seite, erleichtert darüber, dass Cole wohlbehalten in unserer Wohnung in der London Road angekommen war.
Kapitel 2
W ährend Becca versuchte, Malcolm davon zu überzeugen, den Mietvertrag für die Galerie zu verlängern, verzog ich mich in Richtung Garderobenständer und drehte mich mit dem Rücken zum Raum, um Cole anzurufen.
»Was ist denn?«
Ich schürzte missbilligend die Lippen. So meldete sich mein kleiner Bruder neuerdings ständig am Telefon. Mit Beginn der Pubertät vergaß er offenbar sämtliche Manieren, die ich ihm mühsam eingetrichtert hatte. »Cole, wenn du dich noch einmal so meldest, versteigere ich deine PlayStation 3 auf eBay.« Zu Weihnachten war ich an unser Erspartes gegangen, um ihm eine Spielkonsole zu kaufen. Es war ein Opfer gewesen, aber ich hatte meine Gründe
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