London Road - Geheime Leidenschaft
richtete mich kerzengerade auf und machte mich von Cam los. Voller Verachtung sah ich sie an, während ich versuchte, den Schmerz in meinem Herzen zu verdrängen – der Schmerz, der immer von neuem aufflammte, sobald sie etwas Selbstsüchtiges und Gefühlloses sagte oder tat, etwas, das so meilenweit von elterlicher Sorge entfernt war wie diese Bemerkung. »Hat der Gin dir nicht beim Aufstehen geholfen, Mum? Komisch, wo er doch sonst dein bester Freund ist.«
Ihre großporigen Wangen waren übersät mit geplatzten Äderchen, und das bisschen Farbe, das ihre Haut noch hatte, wich ihr aus dem Gesicht. »Werd bloß nicht vorlaut, nur weil er da ist.«
Ich atmete tief durch. Wenn wir so weitermachten, würde es zu einem sehr hässlichen Streit kommen, und das in Cams Beisein. Also mäßigte ich meinen Ton. »Cole und ich haben auch ein Leben, Mum. Du musst dich ab jetzt ein bisschen mehr um dich selbst kümmern, okay?«
Während ich mit Unbehagen ihre Reaktion abwartete, machte ich einen Schritt zurück, um wenigstens Cams Körperwärme zu spüren. Ich war ihm dankbar, dass er sich nicht in die Diskussion einmischte, sondern mich die Sache auf meine Art regeln ließ. Mum erhob sich schwankend und stellte den Becher auf den Tisch. »Ich brauch doch bloß ab und zu mal ein bisschen Hilfe«, antwortete sie kläglich. Ihre Worte waren wie ein dumpfer Schlag gegen meine Brust. Schuldgefühle überkamen mich, obwohl ich mich mit aller Macht dagegen wehrte.
Ich seufzte tief. »Wenn du gar nicht zurechtkommst, ruf mich das nächste Mal eben an.« Ich hätte mich in den Hintern treten können, weil ich so schnell eingeknickt war.
»Mach ich, Schatz.« Sie schlurfte an uns vorbei, den Blick zu Boden geheftet. »Hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Cameron.« So zivil hatte sie sich mir gegenüber seit unserer Konfrontation wegen Cole nicht mehr verhalten, aber dann rief ich mir ins Gedächtnis, dass man ihr nicht trauen durfte, und ich bereute aus tiefster Seele, auch nur annähernd freundlich zu ihr gewesen zu sein. Ich hätte nicht nachgeben dürfen , dachte ich bitter.
Statt einer Antwort brummte Cam bloß. Er klang fast wie Cole.
Ich wartete, bis sie aus dem Wohnzimmer verschwunden war und wir ihre Tür zufallen hörten, erst dann sah ich Cam an. »Und?«
Seine Miene war hart. »Sie ist eine manipulative alte Ziege, und sie weiß genau, wie sie dich rumkriegt.« Mit diesen Worten drehte er sich um und marschierte durch den Flur in Richtung Küche davon.
Ich folgte ihm mit klopfendem Herzen. »Ich habe dir ja gesagt, wie sie ist.«
»Ja, in einer Minute eine Hexe, in der nächsten völlig normal und nett. Das macht sie mit Absicht. Wenn sie eine Hexe ist, gibst du ihr Kontra. Wenn sie nett ist, knickst du ein, und das weiß sie ganz genau. Sie lässt dich nach ihrer Pfeife tanzen.«
Ich wusste, dass er recht hatte, wollte aber an diesem Morgen, der als der beste Morgen meines Lebens begonnen hatte, das Thema nicht vertiefen, deshalb half ich ihm beim Kaffee- und Teekochen. Wir kehrten ins Wohnzimmer zurück, nachdem wir stumm zu der Übereinkunft gekommen waren, jegliche Gedanken an meine Mum beiseitezuschieben, und setzten uns auf die Couch. Cam zog mich auf seinen Schoß, so dass ich quer über seinen Schenkeln saß.
»Was machst du da?«, fragte ich lachend.
»Ich mache es uns bequem.« Er langte an mir vorbei nach unseren Tassen und reichte mir meine.
Ich nahm sie, ganz benebelt von seiner Nähe. Ich konnte sogar die kupferfarbenen Sprenkel im Kobaltblau seiner Iris sehen. »Ist das etwa bequem für dich?« Ich beobachtete ihn, wie er lässig einen Schluck von seinem Kaffee trank. Sein freier Arm war um meine Hüfte geschlungen, die Hand ruhte auf meinem Hintern.
»Sehr«, raunte er.
Ich zuckte mit den Schultern, entspannte mich und trank meinen Tee.
Gleich darauf war es mit der trauten Zweisamkeit allerdings schon wieder vorbei, als die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Sofort kam Leben in mich, und ich versuchte von Cams Schoß herunterzuklettern.
Er hielt mich mühelos mit einem Arm fest.
»Was soll das?«, zischte ich und funkelte ihn drohend an. Mein Herz schlug heftig bei dem Gedanken, dass Cole uns so sehen könnte, ohne vorher eine Erklärung bekommen zu haben.
»Äh. Was geht denn hier ab?«
Zu spät.
Ich schloss ganz kurz die Augen, und als ich sie wieder öffnete, warf ich Cam einen mordlustigen Blick zu, bevor ich meinem Bruder ein entschuldigendes Lächeln schenkte. Mit seiner bereits
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