London Road - Geheime Leidenschaft
»Früher oder später wirst du dich der Inquisition stellen müssen.«
»Ich weiß. Aber lieber später als früher.«
Plötzlich erschien ein Hauch von Röte auf Hannahs Wangen. »Er sieht echt gut aus.«
Lachend setzte ich mich neben sie. Ich spürte, wie meine Wangen brannten, als ich an unseren Morgen und die Nacht davor dachte. »Das stimmt.«
»Ich frag dich nicht, was mit Malcolm ist und so, aber … Ich hab gehört, wie Ellie sich mit Joss unterhalten hat, und sie haben gemeint, dass Cam eigentlich gar nicht dein Typ wäre. Na ja, wenn du glücklich bist, spielt das wohl keine Rolle.«
Ich liebte dieses Mädchen. Heiß und innig. »Ich bin glücklich. Es macht mir Angst, aber ich bin glücklich. Cam hat mich dazu gebracht, einmal nur das zu machen, was ich will, und nicht das, was das Richtige für mich und Cole ist.« Ich dachte an die Sicherheit, die mit Malcolm aus meinem Leben verschwunden war, und spürte einen Hauch von Besorgnis. Um ihn zu überspielen, rempelte ich Hannah spielerisch mit der Schulter an. »Und wie geht’s Marco?«
Mit einem Stoßseufzer ließ sie sich rückwärts auf die Matratze fallen. Sie starrte an die Decke. »Immerhin redet er jetzt wieder mit mir.«
»Warum freust du dich nicht darüber?«
»Weil der Blödmann so tut, als wäre überhaupt nichts zwischen uns gewesen. Als wären wir bloß Freunde. Und dann ist da noch dieses Mädchen in der Klasse über mir, die überall rumerzählt, sie hätte letztes Wochenende auf einer Party was mit ihm angefangen. Sie ist echt hübsch.«
»Na ja, da du selbst wunderschön bist, hast du ihr gegenüber wohl einen Vorteil.« Hannah schnaubte ungläubig, und ich tätschelte ihr das Knie. »Eines Tages wirst du in den Spiegel schauen und das sehen, was ich sehe.«
»Einen Geek, der einen Benimmkurs braucht?«
Ich machte ein verdutztes Gesicht. »Was?«
»Ich hab diese Woche Ärger in der Schule gehabt. Mum und Dad waren ganz schön sauer.«
Meine fast krankhaft schüchterne Hannah hatte Ärger in der Schule bekommen? »Was?«, fragte ich noch einmal, weil ich es einfach nicht glauben konnte.
»Mein Sportlehrer hat mich angemeckert, weil ich mich geweigert hab, beim Basketball in einer reinen Mädchenmannschaft gegen eine reine Jungsmannschaft anzutreten. Ich hab ihm gesagt, dass es wissenschaftlich erwiesen sei, dass Jungs stärker und schneller sind als Mädchen, und dass er eine Niederlage der Mädchen vorwegnimmt, wenn er die Mannschaften so einteilt. Er meinte dann, ich sei meinem eigenen Geschlecht gegenüber ungerecht. Ich hab gesagt, ich sei bloß realistisch und dass er die Jungs bevorzugen würde. Daraufhin hat er mich beim Direktor gemeldet. Der hat zwar entschieden, dass alle Mannschaften im Sportunterricht von jetzt an gemischt sein müssen, aber er hat auch Mum angerufen und ihr gesagt, ich bräuchte einen Benimmkurs.«
Ich schluckte meine Belustigung herunter, als ich das freche Glitzern in ihren Augen sah, und schüttelte den Kopf. »Was ist aus deiner lähmenden Schüchternheit geworden?«
Erstaunlicherweise brachte sie es fertig, im Liegen mit den Schultern zu zucken. »Ich hab einfach das Gefühl, dass ich mir damit selbst im Weg stehe.«
»Hat das was mit Marco zu tun?«
»Nein, nicht nur. Obwohl ich den Eindruck hab, dass ich einfach nicht ›cool‹ genug für ihn bin …«
»Dann ist er ein Idiot.«
»Eigentlich liegt es eher daran, dass ich mich um eine Mitgliedschaft im Debattierclub gebracht hab, bloß weil ich Angst hatte, den Mund aufzumachen. Dabei weiß ich, dass ich gut im Debattieren wäre.«
»Ich glaube, das wissen wir alle.«
Sie schleuderte ein Kissen nach mir und fuhr dann fort, als hätte es meinen Einwurf nicht gegeben. »Und den Weihnachtsball hab ich auch verpasst, weil meine Freundinnen und ich uns nicht überwinden konnten, ohne Begleitung hinzugehen. Und dann hab ich dieses Gedicht geschrieben, das mir wirklich viel bedeutet, und ich wollte damit an einem regionalen Wettbewerb teilnehmen, aber ich hab’s nicht gemacht, weil …«
»Du dich nicht getraut hast.« Erneut tätschelte ich ihr das Knie. »Und dann? Bist du einfach eines Morgens aufgewacht und hast beschlossen, nicht mehr schüchtern zu sein?«
Hannah setzte sich auf und machte plötzlich eine ganz weise Miene. »Nein. Ich hab einen Jungen geküsst, den ich wirklich toll finde, und er hat mich zurückgewiesen. Wenn ich mit so was klarkomme, dann komme ich garantiert auch damit klar, vor Leuten zu sprechen, mit denen
Weitere Kostenlose Bücher