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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Thomas Becket, Erzbischof von Canterbury, der Priester, der diese Zeremonie durchführen sollte, war nicht anwesend. Er hatte das Land fluchtartig verlassen.
    Becket, dachte Silversleeves. Verfluchte Familie. Wenn man sie zertritt, richtet sie sich sofort wieder auf, diese Schlangenbrut. Eine dunkle Nacht. Dies war es, was ihn an Becket erinnerte. Eine andere dunkle Nacht vor langer Zeit. Ein anderes schreckliches Verbrechen. Hatte seine Familie es begangen? Waren sie geborene Verbrecher? Nein, dies konnte er nicht hinnehmen. Wenn die Beckets Männer zu finsteren Taten antrieben, dann waren sie es, die Schuld daran hatten.
    Die Feindschaft zwischen den Beckets und den Silversleeves hatte sich in den vergangenen hundert Jahren noch verschlimmert. Als Gilbert Becket, ein wohlhabender Seidenhändler, mit seiner Familie in London ankam, waren die Silversleeves, die noch immer in ihrer Steinhalle im Schatten von St. Paul's lebten, reiche, stolze und geachtete Leute, die die Neuankömmlinge als Eindringlinge bezeichneten. Kaum jemand nahm Notiz davon, denn zu jener Zeit gab es unter den ehrbarsten Bürgern Londons viele Zuwanderer aus Frankreich, Flandern und Italien. Namen wie Le Blond und Bucherelli wurden bald zu Blunt und Buckerell. Die Beckets zogen in ein stattliches Haus am West Cheap in der Nähe des Judenviertels. Sie kauften ein Dutzend weiterer Häuser. Es ging ihnen finanziell ausgezeichnet. Und dann bekam Gilbert Becket eine wichtige Stellung in der Stadt, die sich Pentecosts Großvater erhofft hatte. Da schlug die alte Bitterkeit in Haß um.
    Wer hatte die Brände gelegt? Das erste Feuer brach im Haus der Beckets in der Nacht aus, in der ihr Sohn Thomas geboren wurde. Das zweite brannte viele Jahre später an einem anderen Ort, zerstörte jedoch einen Großteil ihres Besitzes. Gerüchte kursierten. »Das waren die Silversleeves!« flüsterten sich die Leute zu. »Die haben das Feuer gelegt! Sie haben die Beckets ruiniert.« Pentecosts Vater konnte sich noch so heftig dagegen wehren, diese Flüsterpropaganda verbreitete sich unaufhaltsam weiter. Allmählich schlich sich ein neuer Gedanke in die düsteren Köpfe der Silversleeves ein. »Die Beckets haben die Gerüchte in Umlauf gebracht. Sie verfolgen uns bis ins Grab.« Oft fragte sich der junge Silversleeves, ob dies wohl stimmte.
    Doch die Beckets ließen sich nicht unterkriegen. In London erinnerte man sich noch gut an den jungen Thomas Becket, der sich selbst gern Thomas von London nannte. Er war wie Pentecost ein fauler Bursche und brachte es nie zum Magister. Doch auch er wurde Kleriker und machte sich trotz des väterlichen Ruins einen Namen. Der alte Erzbischof von Canterbury nahm ihn bei sich auf. Er machte Eindruck beim König. Er hatte ein Talent dafür, die Leute zu beeindrucken, sein Äußeres half ihm dabei. Er war groß, sah blendend aus und kleidete sich stets elegant. Er machte seine Sache so gut, daß er im Alter von nur siebenunddreißig Jahren zum Kanzler von England ernannt wurde. Doch die Überraschung über diesen Aufstieg war nichts im Vergleich zur allgemeinen Verblüffung, als er sieben Jahre später zum Erzbischof von Canterbury ernannt wurde. Thomas, der weltliche Diener des Königs, sollte nun der Primat von ganz England sein? Und weiterhin auch noch der Kanzler des Königs? »Der König will den Daumen auf die Kirche halten«, bemerkte Pentecosts Vater. »Und dies wird ihm mit Becket auch gelingen.«
    Doch dann passierte etwas Sonderbares. Eines Tages stieß Pentecost bei seiner Heimkehr von der Schule im Innenhof seines Vaters auf lauter aufgeregte Leute. »Becket hat sich gegen den König gewandt!«
    Natürlich kam es öfter vor, daß König und Erzbischof Meinungsverschiedenheiten hatten. In den letzten hundert Jahren war in ganz Europa immer wieder darüber diskutiert worden, wie Kirche und Staat ihre Autorität ausüben sollten. Waren die großen Feudalbischöfe dem König Untertan oder nicht? Konnte ein Papst einen König absetzen? Es hatte Exkommunikationen gegeben. Erst in der letzten Generation war es in England unter Rums, der sehr barsch mit der Kirche umging, so weit gekommen, daß der fromme Erzbischof Anselm sich gezwungen sah, dem Königreich mehrere Jahre den Rücken zuzukehren. Heinrich II. war sicher genau die Art von Monarch, um solche Querelen zu schüren. Aber Becket? Der treue Diener seines Königs?
    »Er hat sämtlichen Pomp aufgegeben«, hieß es. »Er lebt nun wie ein ganz einfacher Mönch.« War der

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