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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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waren die jungen Londoner Lebemänner, Sprößlinge führender Kaufmannsfamilien, wie es die seine auch war. Einmal im Monat zogen sie los. Schwarze Kapuzen, Dolche, Schwerter. Einmal waren sie zu den Bordellen auf der anderen Seite des Flusses gezogen, hatten eine Hure genötigt, es ihnen allen ohne Geld zu machen. Wie sie da geflucht hatte! Oder der Bauer, den sie im Wald aufgegabelt und dem sie in seinem Karren eine wilde Fahrt geliefert hatten. Schließlich hatten sie den Karren in einen Bach gelenkt und ihn dort steckengelassen. Wie gern sie sich dieses Späßchen immer wieder erzählten! Es war ja nichts Schlimmes dabei. All die jungen Herren spielten solche Streiche. Das war einfach so in dieser Zeit. Niemand nahm es allzu ernst, und je wagemutiger das Ganze, um so besser.
    Aber warum machte er überhaupt mit?
    »Du siehst aus wie ein Mädchen!« hatten sie ihn in der Schule immer gehänselt. Sie hatten ihn verlacht. Er wollte es ihnen zeigen. Nun gehörte er zu der wüstesten Gruppe. Niemand ließ sich je erwischen. Bis letzte Nacht.
    »Wir müssen heute etwas Besonderes anstellen«, hatte Le Blond gemeint. »Schließlich ist heute Krönungstag.«
    Die Krönung. Es war schon ein absonderliches Geschäft gewesen, diese Krönung. Vielleicht wäre er nicht mehr mit seinen Freunden ausgegangen, wenn sie nicht so sonderbar gewesen wäre. Sie waren alle völlig betrunken. Sonst hätten sie doch nie das falsche Haus erwischt. Es war nicht der Bäcker, sondern der Waffenschmied. Ein Bursche mit einem Kettenhemd, stark wie ein Pferdeschmied. Welch einen Kampfer ihnen geliefert hatte! Sie wollten ja nur das Hemd des Kerls als Trophäe mitnehmen. Und dann der Lehrling. Dieser Junge mit seinen weit aufgerissenen Augen. Mit einem Messer. Und dann… er konnte es nicht ertragen, weiter daran zu denken.
    Niemand hatte ihn gesehen. Unter großem Geschrei und Gezeter waren sie davongerannt und hatten sich schließlich getrennt. Sicher hatte niemand ihn gesehen.
    Die Krönung, die am Vortag, dem 14. Juni 1170, in der Westminsterabtei stattgefunden hatte, war aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen war der junge Mann, der gekrönt wurde, gar nicht der König.
    Nach den Söhnen des Eroberers, Rufus und Heinrich I. und einem Zeitraum der Anarchie, in dem die Nachfahren in der weiblichen Linie um die Vorherrschaft kämpften, war die englische Krone auf das Haupt eines außergewöhnlichen Mannes gelangt. Heinrich II. hatte England und die Normandie durch seine Mutter, die Enkelin des Eroberers, geerbt. Durch eine spektakuläre Heirat gelangte er in den Besitz der riesigen Ländereien von Aquitanien in Südwestfrankreich einschließlich des reichen Weinanbaugebiets Bordeaux. Von seinem französischen Vater erbte er die fruchtbare Region Anjou. So war der König von England der Herrscher eines Feudalreiches, das sich von der europäischen Atlantikküste Spaniens bis nach Schottland erstreckte.
    Von seinem Vater hatte er noch zwei weitere Dinge: den sonderbaren Familiennamen, der von einem Vorfahren stammte, der, wie es hieß, seinen Helm anstatt mit einer Feder mit einer Blume zu verzieren pflegte, und zwar mit einem Ginsterzweig; plante à genet hieß dieser in Frankreich, in Englisch wurde daraus Plantagenet; und das Temperament der Familie Plantagenet. Er war ausgesprochen intelligent und scharfsichtig und ständig unterwegs in seinem Bestreben, sein Reich zu sichern und auszudehnen. Er war ein hervorragender Verwalter. Er veränderte das englische Rechtswesen; seine ausgebildeten Richter boten seinen Untertanen ein königliches Gericht anstatt der unberechenbaren Gerichte der Feudalherren. Doch seine Verwaltung war auch sehr streng. In eben diesem Jahr zitterte die Hälfte der Sheriffs von England vor den Beamten des Schatzamts, die unangekündigt bei ihnen aufzutauchen pflegten, um sich Einblick in ihre Geschäfte zu verschaffen.
    Doch die Plantagenets hatten auch noch eine andere Seite. Selbst gemessen an der Norm dieser gefährlichen Zeit waren sie ruchlos, böse und bekannt für ihre schrecklichen Wutanfälle.
    König Heinrich II. hatte vier ungestüme Söhne. Um die Thronfolge zu sichern, hatte er seine Familie und sein Gefolge in die Westminsterabtei gerufen und vor ihren Augen seinen ältesten Sohn krönen lassen, während er selbst noch durchaus lebendig war. Seine Untertanen hofften, daß dieser Schachzug des Königs etwas Ordnung in seine Teufelsbrut bringen würde.
    Und noch etwas Sonderbares hatte diese Krönung:

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