London
vergangen, seit Leofric der Sachse den Besitz seiner Vorfahren in Kent an einen gewissen St. Malo verloren hatte, einen Gefolgsmann des Eroberers, und die Bulls waren davon ausgegangen, daß dies endgültig sei. Doch vor zwanzig Jahren nahm Jean de St. Malo am zweiten Kreuzzug teil und verpfändete dafür seinen Besitz. Der Kreuzzug verlief verheerend, der Ritter kehrte ohne einen Penny in der Tasche heim und gab nach jahrelangen Bemühungen schließlich auf. Bocton ging an seinen Gläubiger über. Gestern hatte dieser den Alderman von der Situation in Kenntnis gesetzt.
Er war ein kleiner, sehr eleganter Herr mit einem schwarzen Seidenumhang und einer Kappe auf dem Kopf. Sein Name war Abraham. »Als ich herausfand, daß dieses Land einst Eurer Familie gehörte, bin ich sofort zu Euch gekommen«, erklärte er. »Wie Ihr wohl wißt, kann ich den Besitz ohnehin nicht behalten.«
In jenen Tagen gab es viele Geldverleiher in London. Der ausgedehnte Handel, das wachsende Reich der Plantagenets und die Ausgaben der Kreuzzüge mußten finanziert werden. Normannische, italienische und französische Geldverleiher stellten große Summen zur Verfügung, ebenso wie der Kreuzfahrerorden der Templerritter und die jüdische Gemeinde in England. Doch während die meisten Geldverleiher Ländereien besaßen und sich die Templer sogar auf Landverwaltung spezialisierten, war es den Juden noch immer untersagt, Land zu besitzen. Wenn also ein jüdischer Geldverleiher Landbesitz erhielt, verkaufte er ihn gleich wieder.
Abraham nannte einen Preis. Bull erklärte, daß er ihn bezahlen könne, sobald sein Schiff zurückgekehrt sei. Er zweifelte nicht daran, daß die Reise erfolgreich sein würde, und er vertraute darauf, daß Abraham sich noch ein Weilchen geduldete. Ein einziger Gedanke trübte seine Freude: Er hatte seiner Mutter noch nichts davon erzählt. Doch dieses Problem wollte er nicht heute angehen.
Er war aus einem bestimmten Grund den Cornhill hinaufgegangen. Oben angekommen blickte er auf den zweiten Grund für seine gute Laune an diesem Tag – auf ein kleines Segelschiff. In einer Zeit, in der die meisten Ladungen von ausländischen Händlern nach Übersee verschifft wurden, gehörte Bull seit einem Monat zu den wenigen Londonern, die selbst ein Schiff besaßen. Es gab noch viele der schlanken normannischen Langboote mit ihren vielen Rudern, doch sein Schiff war nach südeuropäischer Art gebaut. Mit seinem breiten Rumpf, tiefliegend und meist von einem einzigen Hauptsegel angetrieben, war es schwerfällig und langsam, doch konnte so eine Kogge mit einer kleinen Besatzung bei jedem Wetter segeln und hatte einen sehr geräumigen Frachtraum. Im Frachtraum seines Schiffes ruhte ein Drittel von Bulls Vermögen in Form von Wolle, die nach Flandern verschifft werden sollte. Wenn das Schiff mit Seide, Gewürzen und anderen kostbaren Gütern zurückkehrte, würde ihm der Ertrag aus dieser Reise genügend zusätzliche Mittel einbringen, um die wichtigste Veränderung am Status und dem Vermögen seiner Familie seit der normannischen Eroberung vorzunehmen.
Die kleine Kogge kam gerade am Tower vorbei, glitt in die lange Gerade und näherte sich schließlich der großen Flußkurve. Doch plötzlich kam sie ins Schlingern. Ihr Bug steuerte auf das Südufer zu, sie driftete seitwärts ab, begann, sich wie verrückt zu drehen und blieb schließlich, wie von einer unsichtbaren Hand festgehalten, stecken.
Alderman Bull verstand sofort, was passiert war. Er stieß einen Wutschrei aus. »Fischreusen! Dieser verfluchte König!« Dann hastete er den Hügel hinab.
Diese Äußerung galt als Hochverrat, doch kaum ein Alderman in London hätte Bull widersprochen. Die alten Fischereirechte der Stadt waren in großen Ämtern konzentriert worden, und nun oblag das Fischen auf vielen Meilen flußabwärts keinem anderen als dem Diener des Königs, dem Burghauptmann des Towers. Da die Themse sehr fischreich war, waren die Rechte sehr wertvoll, und der Burghauptmann durfte den maximalen Profit daraus ziehen. Der breite Fluß wurde mit Netzen, Auslegern, Wehren und sonstigen Fischfangvorrichtungen zunehmend verstopft. Diese Hindernisse hießen allgemein nur Reusen. Zwar beschwerten sich die großen Kaufleute immer wieder beim König persönlich über die Schäden an ihren Schiffen, doch es wurden stets nur vage Versprechungen gemacht, und die Reusen blieben bestehen.
Am Spätnachmittag war die Kogge wieder an ihrer Anlegestelle. Das Steuer war zerbrochen,
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