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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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egal, wie groß sein Vergehen war. Es liefen genügend kriminelle Kleriker herum, da dieses System natürlich oft genug mißbraucht wurde. Bei seinem Streit mit seinem früheren Freund Becket hatte König Heinrich II. nichts mehr erzürnt als die Weigerung des Erzbischofs, es zu reformieren.
    Eigentlich sollten Männer, denen schwere Verbrechen vorgeworfen wurden, ihrer kirchlichen Weihen entledigt und dem königlichen Gericht zur Bestrafung zugeführt werden. »Doch selbst dagegen wehrt Ihr Euch noch«, hatte König Heinrich protestiert. »Das ist wirklich unerträglich.« Viele vernünftige Leute in der Kirche pflichteten ihm bei, doch Becket hatte auf seiner Weigerung beharrt und weilte immer noch im Exil.
    Am Vortag hatte Pentecost Silversleeves' Verhandlung in der Halle des Bischofs von London in St. Paul's stattgefunden. Gilbert Foliot, der Bischof von London, war ein Aristokrat. Seine schwarze Robe war aus Seide. Sein hageres, gelbes Gesicht sah aus, als sei uraltes Vellum über seinen Schädel gezogen worden. Seine Hände wirkten wie Klauen, so dürr waren sie. Er hielt Becket für einen vulgären Idioten. »Ihr solltet dem König übergeben und hingerichtet werden«, hatte er trocken bemerkt. Aber er konnte nichts dergleichen unternehmen; denn das Kirchengericht folgte noch immer den alten Regeln des Eidschwures. Wenn ein beschuldigter Kleriker behauptete, unschuldig zu sein, und genügend achtbare Zeugen bereitstellen konnte, die dies beschwörten, dann mußte er freigesprochen werden. Trotz der Tatsache, daß Pentecosts Komplizen ihn alle der Mitschuld bezichtigt hatten, hatte die Familie Silversleeves zwei Priester, einen Erzdiakon und drei Aldermen herbeigeschafft, die ihnen einen Gefallen schuldeten oder auch erpreßt wurden, und diese hatten vor dem Bischof geschworen, daß sich der junge Pentecost niemals auch nur in der Nähe des Schauplatzes des Verbrechens aufgehalten habe.
    »Deshalb bin ich verpflichtet«, hatte Foliot mit einem verächtlichen Blick auf Silversleeves und seine Zeugen gesagt, »Eure Unschuld zu erklären. Und da Ihr theoretisch unschuldig seid, könnt Ihr auch nicht der königlichen Gerichtsbarkeit übergeben werden. Doch das eine sage ich Euch: Solange ich es verhindern kann, werdet weder Ihr noch Eure lügnerischen Zeugen in dieser Diözese je wieder so eine Vorzugsbehandlung erfahren.« Damit waren sie entlassen worden.
    Auch die anderen beiden gingen nicht unter. Sie waren alle schuldig und sollten nun, wie es der König in diesem Fall wünschte, auf der Stelle ihrer Bestrafung zugeführt werden.
    In diesem Moment fiel Silversleeves' Blick auf die stämmige Gestalt mit der weißen Haarsträhne, die nur etwa zehn Meter von ihm entfernt stand. Silversleeves wollte sich ducken, doch der Handwerksmeister hatte ihn bereits entdeckt und bahnte sich einen Weg durch die Menge zu ihm hin.
    Simon der Waffenschmied war ein konservativer Mensch. Er lebte noch immer im Haus seines Urgroßvaters Alfred und war auch in seine handwerklichen Fußstapfen getreten. Er besaß auch noch einiges Land in einem Weiler in der Nähe von Windsor, für das er Pacht zahlte. Und er war stolz auf sein handwerkliches Geschick. Doch er war weit entfernt von den reichen Großhändlern, den Aldermen, die die Geschicke der ständig wachsenden Stadt lenkten. »Die machen sich doch nie die Hände schmutzig, wie wir es tun«, pflegte er oft zu sagen. »Die halten sich für Adlige. Aber das sind sie nicht. Es sind nur Kaufleute, und die sind um nichts besser als ich.«
    Als die jungen Kerle in sein Haus eingedrungen waren und seinen besten Lehrling ermordeten, hatte ihn dies auch deshalb so erbost, weil sich hier wieder einmal die Verachtung zeigte, die diese Leute seiner Klasse gegenüber hegten. »Das sind ganz gewöhnliche Verbrecher«, hatte er getobt. Und nun war er nach Smithfield gekommen, um mit eigenen Augen zu sehen, daß Gerechtigkeit erfolgte, auch wenn er sich nicht eines Anflugs von Bedauern erwehren konnte, als die jungen Männer für schuldig befunden wurden; denn er wußte, was als nächstes kommen würde. »Sie haben zwar etwas Schreckliches getan«, murmelte er, »aber trotzdem sind es arme Teufel.«
    Dann hatte er Silversleeves entdeckt. Er trat neben den langnasigen jungen Mann und flüsterte ihm ins Ohr: »Du schleimiger Feigling! Du bist genauso ein Mörder, und sogar noch schlimmer als die anderen. Denn die werden jetzt sterben, du jedoch nicht, Judas. Weil du zu feige bist. Abschaum!« Damit

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