London
entfernte er sich wieder.
Pentecost blieb noch, um die Hinrichtung zu sehen. Die drei jungen Männer wurden zu den Ulmen geführt, über deren hohe Äste Stricke geworfen wurden. Pentecost sah, wie die Schlingen um die Hälse gelegt wurden, sah, wie die drei hochgezogen wurden, während die Menge schrie: »Hoch mit ihnen!«, sah, wie sich die Gesichter seiner Freunde verzerrten und lila verfärbten, sah, wie ihre Körper wild zuckten, bis sie schließlich nur noch leblos dahingen.
Als Silversleeves eine Stunde später in den Exchequer-Hof trat, waren alle in ihre Arbeit vertieft. Eigentlich sollte die Ostersitzung bereits vorüber sein, doch mit der zusätzlichen Arbeit, die die Krönung des Prinzen mit sich gebracht hatte, gab es noch einiges zu tun. Dankbar, von der Hinrichtung abgelenkt zu werden, machte sich Pentecost an die Arbeit.
Erst nach einer Weile fiel ihm auf, daß es hier drinnen unnatürlich ruhig war. Die Schreiber taten ihr Bestes, ihn zu ignorieren. Es war die Scheu einem Menschen gegenüber, der soeben offiziell zu einem Ausgestoßenen geworden war. Pentecost versuchte, nicht darauf zu achten, doch nach einer Weile verließ er seinen Platz und wanderte im Palast von Westminster umher. Er wollte versuchen, die Bilder, die auf ihn einstürmten, zu ordnen.
Seine Eltern, als er es ihnen erzählt hatte. Seine Mutter, blaß, entsetzt, unfähig zu verstehen, wie ihr Sohn so etwas hatte tun können. Sein Vater, schrecklich in seiner stillen Wut, doch gleich darauf bedacht, seinen Sohn freizubekommen. Die Verhandlung. Die Augen des Bischofs. Die toten Körper seiner Freunde. Das Schweigen im Exchequer-Saal. Solange Foliot lebte, hatte er als Kleriker nichts mehr zu melden, aber was war mit dem Exchequer? Hatte er auch hier nichts mehr zu melden?
Gedankenversunken bog er in einen großen Durchgang ein und sah zwei Maler an der Wand arbeiten. Viele der Wände in den Sälen um die Westminster-Halle herum waren mit Wandmalereien versehen. Das Fresko hier bestand aus einer Reihe von Szenen aus dem Leben von Königen und Propheten des Alten Testaments. Im Zentrum stand ein Rad, an dem die beiden gerade arbeiteten. Silversleeves blieb stehen, um ihre Arbeit zu bewundern. »Was soll dieses Rad werden?« fragte er.
»Das ist das Schicksalsrad, Sir«, antwortete der eine.
»Und was soll es bedeuten?«
»Nicht mehr, Sir, als daß ein Mann zu Ruhm und Ehren aufsteigen und ebenso schnell wieder absteigen kann. Oder auch umgekehrt. Es bedeutet, daß das Leben wie ein Rad ist, Sir, das sich ständig dreht. Es lehrt uns, demütig zu sein.«
Silversleeves nickte. Jeder gebildete Mann kannte das Rad des Schicksals. Der römische Philosoph Boethius, der in den damaligen Schulen sehr geschätzt wurde, war nach einem politischen Umschwung ins Gefängnis geworfen worden und hatte dort darauf gedrungen, daß man sein Schicksal stoisch annehmen solle; er hatte das Geschick der Menschen mit einem sich ständig drehenden Rad verglichen. Silversleeves lächelte leise. Wie passend! Er würde sein Schicksal philosophisch angehen. Zwar war er jetzt gerade an einem Tiefpunkt angelangt, doch das Rad würde sich zweifellos wieder drehen. Er ging weiter.
Ein paar Minuten später stand er in der riesigen Westminsterhalle. Ein halbes Dutzend reich gekleideter Männer kam auf ihn zu. Sie liefen rasch, um mit dem Mann in ihrer Mitte Schritt zu halten. Sobald Silversleeves sah, wer es war, duckte er sich hinter einer Säule.
Im Gegensatz zu seinen Höflingen trug König Heinrich II. von England meist nur sehr einfache Kleidung – heute schlichte, grüne Beinkleider und ein Jägerwams. Er war durchschnittlich groß und eher breit gebaut und neigte wahrscheinlich zu Dickleibigkeit, die jedoch durch seine permanente Umtriebigkeit verhindert wurde.
Wenn Pentecost nicht versucht hätte, sich hinter der Säule zu verbergen, wäre er vielleicht ungeschoren davongekommen. Doch als er sich nun instinktiv an den grauen, normannischen Stein preßte, hörte er eine strenge Stimme in Französisch rufen: »Man bringe mir diesen Mann!« König Heinrich schätzte es nicht, wenn sich Leute vor ihm versteckten.
Kurz darauf standen sie sich gegenüber. Silversleeves hatte den König noch nie so nahe gesehen, was nicht weiter überraschend war, denn Heinrich Plantagenet verbrachte nur einen Bruchteil der Zeit in seinem nördlichen Königreich, und selbst wenn er auf der Insel weilte, reiste er ständig von Ort zu Ort und gab sich unterwegs gern der
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