London
bedeckt. Hinter dem Schleier verbarg sich ein ovales, hübsches Gesicht. Das Gewand mit den breiten Ärmeln verhüllte einen schlanken, blassen Körper mit kleinen Brüsten und langen Beinen. Sie war die Tochter eines Ritters und die Witwe eines Ritters. Sie war eine Dame, doch darum schien sich niemand weiter zu kümmern, nicht einmal König Richard. Denn auf Befehl des Königs führte sie dieser langnasige Kleriker davon, um sie mit einem ganz gewöhnlichen Kaufmann zu verheiraten, von dem sie nichts weiter wußte, als daß er Sampson Bull hieß.
»Könnt Ihr mir denn gar nichts über ihn sagen?« hatte sie Silversleeves noch am Vortag gefragt.
»Es heißt, daß er sehr launisch ist.« Mehr erfuhr sie nicht.
Dank der hervorragenden Verwaltung seines Vaters war König Richard Löwenherz einer der reichsten Herrscher der christlichen Welt; auf alle Fälle um einiges reicher als sein Rivale, der König von Frankreich. Doch so ein Kreuzzug war teuer. Als der Papst vor zwei Jahren zum dritten Kreuzzug aufgerufen hatte, um Jerusalem von dem islamischen Herrscher Saladin zu befreien, hatte König Heinrich eine Sondersteuer erhoben, den Saladinzehnt. Doch selbst dieser reichte nicht aus, und so hatte König Richard schon vor seiner Ankunft sein Schatzamt informiert, daß es sämtliche verfügbaren finanziellen Mittel bereitstellen solle. Richard hatte bislang kaum einen Fuß nach England gesetzt. »England kommt mir feucht und langweilig vor«, hatte er seinen Vertrauten gestanden. »Doch wir lieben es, weil es uns viel Geld bringt.«
Im Sommer 1189 war deshalb einiges zu verkaufen: Sheriffämter, Handelsprivilegien, Steuerausnahmen. Unter den zu verkaufenden Gütern des Königs befanden sich auch zahllose Erbinnen und Witwen, die aufgrund des Feudalrechts seinem Schutz unterstanden; mit denen er tun konnte, was ihm beliebte. Dies bedeutete, daß er die aristokratischen Damen an die meistbietenden Käufer veräußern konnte, wenn er dringend Bargeld brauchte.
Ida war die siebte Witwe, die Silversleeves in weniger als sechs Wochen aufgestöbert und verkauft hatte. Er war stolz auf seine Transaktion. Ida war arm. Wenn Pentecost nicht gewußt hätte, daß der reiche Witwer Bull nach einer adligen Ehefrau Ausschau hielt, hätte man Ida wohl nur schwer verkaufen können. Als Pentecost nun die Tränen auf ihrem Gesicht sah, bemerkte er kühl: »Macht Euch nichts draus, Madame. Wenigstens werdet Ihr für einen guten Zweck verkauft.«
Als sie in den Cheap einbogen und an den buntbemalten Holzbuden vorbeiritten, bekam Ida den Schreck ihres Lebens. Kurz bevor sie zu der kleinen normannischen Kirche St. Maryle-Bow gelangten, deutete Silversleeves auf eine Gruppe von Kaufleuten vor der Kirchentür: »Das dort ist er, der Mann in Rot.« Als Ida das grobe, rote Gesicht und den stämmigen Körper ihres zukünftigen Mannes erblickte, fiel sie in Ohnmacht.
Pentecost sah untätig zu, während die Herumstehenden sich bemühten, Ida wieder ins Leben zurückzurufen. Seine Gedanken schweiften von der glücklosen jungen Witwe zu wichtigeren Belangen.
Oberflächlich betrachtet hatte er zum erstenmal in zwanzig Jahren gute Aussichten. Nicht nur, daß sein alter Feind, König Heinrich, tot war, nein, er hatte sogar noch einen Patron gefunden.
William Longchamp war jemand, der es aus eigener Kraft weit gebracht hatte. Er war zäh, tüchtig und ehrgeizig und hatte sich im Dienst der Plantagenets ein beträchtliches Vermögen erworben. Als er Silversleeves kennenlernte, überlegte er sich gerade seinen nächsten Schritt, und dazu brauchte er jemanden, der vollkommen von seinem guten Willen abhängig war.
Pentecost hatte nie das Vertrauen seiner Vorgesetzten im Schatzamt gewinnen können, so sehr er sich auch darum bemüht hatte, und war deshalb höchst erfreut, als Longchamp sich plötzlich seiner annahm. »Wenn ich ihm gute Dienste leiste«, erklärte er seiner Frau, »dann macht er uns reich.« Dabei war er keineswegs arm; er hatte von seinem Vater, der vor einigen Jahren gestorben war, ein großes Vermögen geerbt. Aber er hatte auch eine ehrgeizige Frau und drei Kinder, die ihn bereits eifrig befragten, mit welcher Erbschaft sie wohl zu rechnen hätten, obwohl der älteste erst sechzehn war. »Longchamp wird Kanzler von England werden«, berichtete Silversleeves seiner Familie. »Er wird dem König zwar eine stattliche Summe für dieses Amt zahlen müssen, aber das Geschäft ist nahezu besiegelt.« Seine Frau küßte ihn, und die Kinder
Weitere Kostenlose Bücher