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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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klatschten begeistert in die Hände.
    Es gab nur ein Problem. Richard Löwenherz würde in weniger als zehn Tagen gekrönt werden. Bald darauf würde er sein Königreich verlassen, um in seinen Kreuzzug zu ziehen. Aber würde er je wieder zurückkehren? Viele zweifelten daran. Auf so einem Kreuzzug ließen viele Menschen ihr Leben; einige starben im Kampf, doch die Mehrheit fiel auf der langen, gefährlichen Reise nach Osten Krankheiten oder Unfällen zum Opfer. Wenn der König überlebte, was würde er bei seiner Rückkehr in seinem Reich vorfinden?
    Die Lage im Reich der Plantagenets war kompliziert. Es hatte drei Anwärter für das riesige Erbe König Heinrichs gegeben: Richard, seinen Bruder Johann und ihren Neffen Arthur. Richard hatte das gesamte Reich geerbt, Arthur den alten Familienbesitz der Bretagne. Johann hatte nur ein paar reiche Ländereien erhalten, darunter auch einige im Westen Englands, und mußte dafür versprechen, sich während der Abwesenheit seines Bruders dem Inselkönigreich fernzuhalten. Noch schlimmer war es jedoch für Johann, daß das gesamte Reich nicht an ihn, sondern an den jungen Arthur fallen würde, falls Richard starb, ohne einen Sohn zu hinterlassen.
    Es war gefährlich, daran bestand kein Zweifel. Ein leeres Königreich, ein unzufriedener Bruder. Silversleeves war die Situation absolut nicht geheuer. Aber eines war sicher: Was auch immer an Unheil bevorstand, er würde nicht auf der falschen Seite stehen, dafür würde er schon sorgen.
    Am frühen Nachmittag betrat Schwester Mabel die St.-Paul'sKathedrale, um hier wie üblich zu beichten. Und heute hatte sie sogar tatsächlich etwas zu beichten.
    Seit ihrer Vision vor einigen Jahren wußte Mabel, daß der Teufel gegen den armen Bruder Michael und vielleicht auch gegen sie etwas im Schilde führte. Doch nun war die Schlange der Versuchung so schnell gekommen, daß sie sie völlig unvorbereitet erwischt hatte.
    Es war an einem Samstagmorgen gewesen, dem Tag, an dem in Smithfield der Pferdemarkt stattfand. Sie und Bruder Michael waren herumspaziert und hatten die Pferde bewundert. Eben wollten sie sich auf ihren Rückweg zum Krankenhaus machen, als jemand einen Warnschrei ausstieß. Sie sahen einen riesigen, kastanienbraunen Hengst durch die auseinanderlaufende Menge geradewegs auf sie zu galoppieren. Bruder Michael warf sich, ohne zu zögern, in den Weg des Pferdes und griff nach seinem Zaumzeug. Zwei Männer kamen ihm zur Hilfe. Weitere Schreie ertönten, dann gab es ein Geräusch, als würde etwas zerreißen. Kurz darauf führte Bruder Michael, dessen Soutane ziemlich zerfetzt war, den Hengst mit einem stolzen Grinsen zurück zu seinem Besitzer.
    Da wurde Mabel klar, daß sie noch nie seinen Körper gesehen hatte. In ihrer Vorstellung war er immer groß und dünn gewesen, doch hier zeigte sich ihr ein athletischer, gutgebauter Mann, der sich die Fetzen seiner Soutane vom Leibe riß.
    Zum erstenmal in ihrem Leben verspürte Schwester Mabel eine körperliche Begierde. Sie wußte, daß der Teufel ihr dieses Gefühl geschickt hatte. Sie betete Tag und Nacht, doch da sie tagtäglich mit Bruder Michael zusammentraf, wurde sie sich seiner Anwesenheit immer bewußter, bis sie schließlich eine allumfassende Liebe für ihn empfand, die so stark war, daß ihr der Atem stockte, sobald er auch nur den Raum betrat. Nach drei Wochen fühlte sie sich diesem alles durchdringenden Gefühl so ausgeliefert, daß sie sich zur Beichte aufmachte.
    Unter einem der dunklen, hochaufragenden Säulenbögen von St. Paul's fragte sie ein ziemlich überraschter junger Priester: »Ist denn schon etwas passiert?«
    »Nein, Vater«, erwiderte sie traurig.
    »Dann bete zu unserer gesegneten Mutter, der Jungfrau Maria«, sagte er, »und wisse in deinem Herzen, daß du nicht sündigen wirst.«
    Doch Mabel hatte bei all ihrer Frömmigkeit einen Sinn für das Praktische, wie er den Menschen zu eigen ist, die Kranke behandeln. »Das wird mir nicht viel nützen«, sagte sie, »denn wahrscheinlich werde ich nicht umhinkönnen, es dennoch zu tun.«
    Ida war schier untröstlich über ihr Schicksal, und nicht nur deshalb, weil Bull dick, ungehobelt und ihr völlig fremd war, sondern vor allem deshalb, weil er aus der falschen Schicht kam. Das war das allerschlimmste für sie, eine kaum erträgliche Demütigung. Doch da sie keine mächtigen Freunde hatte, war nichts mehr daran zu ändern.
    Die Trauung fand im engsten Familienkreis in St. Mary-leBow statt. Ida war froh,

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