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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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aufzureiben. »Aber die Idioten wollen eine offene Schlacht«, stellte Cäsar fest. Und darin waren die Römer gewöhnlich unschlagbar.
    Alles war nur eine Frage der Disziplin und der Bewaffnung. Wenn die römischen Legionen ihre Schilder in einem großen Viereck zusammenschlossen oder in kleineren Abordnungen über ihren Köpfen eine Art Schildkrötenpanzer bildeten, dann waren sie für die keltische Infanterie unschlagbar, und selbst die Räder der Streitwagen hatten Schwierigkeiten, so eine Formation zu durchbrechen. Als er auf das andere Ufer blickte, wo die keltische Horde sich unter freiem Himmel zusammenzog, wußte Cäsar, daß sein einziges ernstzunehmendes Hindernis der Fluß war. Also gab er den Befehl: »Vorwärts!«
    Als Segovax wieder festen Boden unter den Füßen hatte, war er von oben bis unten schlammverschmiert, doch das machte ihm nichts aus. Er hatte es geschafft.
    Die keltische Linie war kaum eine Meile von ihm entfernt. Er forschte unter den Tausenden von Gestalten nach seinem Vater, entdeckte ihn jedoch nicht. Langsam schlich er vorwärts, seinen Speer in der Hand. Der Fluß war nun voller Römer. Am Nordufer bildeten sie bereits wieder die ersten Formationen. Laute Schreie drangen aus tausend Kehlen der keltischen Krieger. Von den Römern kam kein Laut.
    Und dann fing es an.
    Segovax hatte noch nie eine Schlacht erlebt. Plötzlich rannten überall Männer, während die Streitwagen mit höchster Geschwindigkeit vorbeirasten. Die römischen Waffen glitzerten und funkelten. Der Lärm war wahnsinnig. Mitten im Getöse ertönten die schrecklichen Schmerzensschreie der Verwundeten.
    Segovax hielt an. Die Schlacht verlagerte sich immer näher zu ihm hin. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo in diesem schrecklichen Chaos sein Vater stecken mochte.
    Der Ansturm einer galoppierenden Kavallerie ist furchterregend. Selbst die in Viereckformationen marschierenden, darauf trainierten Fußsoldaten fangen meist an zu zittern. Unerfahrene Soldaten werden immer fliehen, wenn sie von berittenen Kämpfern attackiert werden. Kein Wunder, daß der Junge zu Tode erschrak, als ihm plötzlich klar wurde, daß eine ganze Armee auf ihn zukam, und er rannte davon.
    Wochenlang hatte er sich vorbereitet. Die ganze Nacht war er den Fluß hinabgepaddelt, um bei seinem Vater zu sein. Und nun war er hier, nur wenig von ihm entfernt, und konnte nicht zu ihm. Er stand zwei Stunden lang zitternd am Flußufer. Er war kreidebleich vor Angst und fror entsetzlich. Als er auf die schreckliche Schlacht starrte, die da auf der Wiese vor ihm tobte, wurde ihm etwas Furchtbares klar: Er war ein Feigling. Bitte, laßt meinen Vater mich jetzt nicht so sehen! flehte er die Götter an.
    Aber diese Gefahr bestand nicht. Schon beim dritten Ansturm der Römer war sein Vater gefallen, mit dem Schwert in der Hand, wie die Götter es vorhergesagt hatten.
    Am späten Nachmittag war die Schlacht vorbei. Die Kelten flohen nach Norden, die römischen Reiter verfolgten sie noch eine Weile und metzelten gnadenlos jeden nieder, den sie erwischten. Am frühen Abend schlugen die Sieger ihr Lager in der Nähe der zwei Hügel von Londinos auf. Das Schlachtfeld – ein großes Gebiet, übersät mit Leichen, zerbrochenen Streitwagen und zurückgelassenen Waffen – war gespenstisch ruhig. Auf dieses verlassene Feld trat nun Segovax.
    Er hatte bislang nur wenige tote Menschen gesehen. Deshalb war er überhaupt nicht vorbereitet auf die sonderbar grauen Gesichter, die schweren, steifen, teilweise schrecklich verstümmelten Leichen. Der Geruch des Todes begann sich über den Platz auszubreiten. Die Sonne ging bereits unter, als er seinen Vater endlich fand. Er lag in der Nähe des Ufers auf dem Rücken, sein schmales Gesicht blickte zum Himmel, sein Mund stand weit offen. Ein kurzes, breites Römerschwert hatte ihm eine schreckliche Wunde am Oberkörper zugefügt.
    Der Junge kniete sich neben ihn. In seinem Hals bildete sich ein Kloß, an dem er zu ersticken glaubte, und seine Augen füllten sich mit heißen Tränen. Das Schluchzen schüttelte seinen Körper so heftig, daß er gar nicht merkte, daß er nicht mehr allein war. Ein paar römische Soldaten in Begleitung eines Zenturios hatten sich aufgemacht, um nach zurückgelassenen römischen Waffen zu suchen. Als sie die einsame Gestalt entdeckten, gingen sie auf sie zu. Sie standen direkt hinter ihm, als der Junge sich umwandte und sie entsetzt anstarrte.
    Römische Soldaten. Die Abendsonne glühte auf ihren

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